Die Revision wird für beide Berufungskläger zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigenkündigung des Arbeitnehmers vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gerät der Arbeitgeber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in erheblichem Umfang (hier drei Monate) mit der Zahlung der fälligen Löhne in Rückstand, kann darin ein Auflösungsverschulden mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes gemäß § 628 Abs. 2 BGB liegen. Eine vorherige Abmahnung ist entbehrlich, wenn sie wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfolgversprechend gewesen wäre. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III entlastet den Arbeitgeber nicht.

2. Der gemäß § 628 Abs. 2 BGB zu ersetzende Schaden ist der Verdienstausfall bis zum fiktiven Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, alsbaldiger Insolvenzeröffnung und Stilllegung des Betriebes beinhaltet der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nicht kumulativ eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG.

 

Normenkette

InsO §§ 38, 179 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 2, § 628 Abs. 2; SGB III § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Herford (Urteil vom 15.07.2005; Aktenzeichen 1 Ca 2012/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.07.2007; Aktenzeichen 8 AZR 817/06)

 

Tenor

führende Parallelsache

Die Berufung des Klägers und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 15.07.2005 – 1 Ca 2012/04 – werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 7/11 und der Beklagte 4/11 zu tragen.

Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf 4.656,25 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob und in welchem Umfang dem Kläger Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderung aus dem Gesichtspunkt des Auflösungsverschuldens zustehen.

Der am 24.03.1959 geborene Kläger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, war seit dem 16.03.1981 bei der in L1xxx ansässigen Firma W1xxxxx S2xxxxxx GmbH & Co. KG als Lackierer tätig. Er verdiente durchschnittlich 2.738,97 EUR.

Ab Juli 2002 wurde die Arbeitsvergütung des Klägers nur noch schleppend ausgezahlt. Für Dezember 2002 erhielt er nur einen Teil der Vergütung; für Januar und Februar 2003 wurde keine Arbeitsvergütung ausgezahlt. Deswegen kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis am 07.03.2003 fristlos. Die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin hatte den Mitarbeiterin auf einer Betriebsversammlung desselben Tages vorbereitete Eigenkündigungsformulare vorgelegt. Alle 36 Arbeitnehmer sprachen Eigenkündigungen aus. Am selben Tag beantragte die Firma S2xxxxxx die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 10.03.2003 bestellte das Insolvenzgericht den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Am 18.03.2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Der Betrieb der Insolvenzschuldnerin wurde alsbald stillgelegt.

Mit der vorliegenden am 23.09.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger Schadensersatz in Höhe von sechs Monatsverdiensten sowie eine angemessene Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes. Er hat eine Schadensersatzforderung in Höhe von 46.562,49 EUR am 07.04.2003 zur Insolvenztabelle angemeldet, die der Beklagte in voller Höhe bestritten hat.

Im Vorfeld der Insolvenz fand am 11.02.2003 bei der Insolvenzschuldnerin eine Belegschaftsversammlung statt, auf der nach Darstellung des Betriebsrats der Bevollmächtigte der Insolvenzschuldnerin, Rechtsanwalt H3xxxxxx, die Nichtzahlung der Arbeitsvergütungen mit der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens begründete. Deswegen wandte sich der Betriebsrat durch seine Bevollmächtigten am 24.02.2003 an die Geschäftsführung der W1xxxxx S2xxxxxx GmbH & Co. KG und wies darauf hin, dass die Löhne und Gehälter nur bis etwa zum 06.12.2002 bezahlt worden seien. Trotz der eingestandenen Zahlungsunfähigkeit habe es die Geschäftsführung unterlassen, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Betriebsrat wünsche Auskunft darüber, seit wann ein Insolvenztatbestand vorliege. Falls die Absicht bestehe, die Arbeitnehmer in die Eigenkündigung zu treiben, führe dies zur Schadensersatzpflicht gemäß § 628 Abs. 2 BGB. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Betriebsrats vom 24.02.2003 (/Bl. 47 und 48 d.A.) Bezug genommen.

In dem Antwortschreiben vom 26.02.2003 brachte Rechtsanwalt H3xxxxxx als Bevollmächtigter der Insolvenzschuldnerin zum Ausdruck, dass weder er noch der Geschäftsführer H4xxxxx von einer Zahlungsunfähigkeit gesprochen hätten. Die Mitarbeiter seien lediglich darüber informiert worden, dass das Unternehmen derzeit eine Liquiditätsstockung habe, an deren Beseitigung intensiv gearbeitet werde. Die Mitarbeiter seien gebeten worden, zunächst bis Ende Februar/Anfang März weiter im und für das Unternehmen tätig zu sein, da auch für die negativsten Fälle Insolvenzgeldabsicherung bis Ende Februar einschließlich erster Märzwoche bestehe. Die Sparkasse werde bis spätestens Anfa...

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