Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Einheitlicher Verhinderungsfall bei regelmäßiger Arbeitsunfähigkeit. Keine Prozesskostenhilfe bei einheitlichem Verhinderungsfall
Leitsatz (amtlich)
Die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung kann nach den Grundsätzen der Einheit des Verhinderungsfalls zu verneinen sein, wenn eine Vielzahl von Arbeitsverhinderungen in sehr engem zeitlichem Zusammenhang stehen und die Arbeitsunfähigkeit der Regelfall und die Arbeitsfähigkeit die absolute Ausnahme war.
Normenkette
ZPO § 114 Abs. 1; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1; ZPO § 121 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 29.05.2020; Aktenzeichen 2 Ca 5412/19) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 26.06.2020 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 29.05.2020 (2 Ca 5412/19) teilweise abgeändert:
Dem Kläger wird für die Verteidigung gegen die Widerklage (Streitwert 17.805,40 Euro) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J F aus K bewilligt.
Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass derzeit keine Ratenzahlung zu erbringen ist.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die vom Kläger zu tragenden Gerichtskosten werden auf die Hälfte reduziert.
Gründe
I.
Die gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, 78 S. 1 ArbGG zulässige, sofortige Beschwerde hat im Hinblick auf die Verteidigung gegen die Widerklage Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.
1. Für die Klage hat das Arbeitsgericht die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 1 ArbGG erforderliche Erfolgsaussicht zu Recht verneint.
Der Kläger hat den erhobenen Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG für die Zeit von Juli 2019 bis Dezember 2019 nicht schlüssig dargelegt.
a) Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls; vgl. BAG 11.12.2019 - 5 AZR 505/18 - NJW 2020, 1386). Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit führte (BAG 25.05.2016 - 5 AZR 318/15 - NZA 2016, 1076). Der Arbeitnehmer hat dies als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und im Streitfall zu beweisen. Bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass sich die Erkrankungen überschneiden, so ist der Beweiswert der dem Arbeitnehmer ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem sich daraus ergebenden Ende einer Arbeitsunfähigkeit erschüttert, d.h., der Arbeitnehmer muss nunmehr für den Zeitpunkt der Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit wegen einer "früheren" Krankheit vor Eintritt der neuerlichen Arbeitsverhinderung vollen Beweis erbringen (BAG 11.12.2019 - 5 AZR 505/18 - NJW 2020, 1386, Rn.19). Wenn sich an eine Arbeitsverhinderung in engem zeitlichen Zusammenhang eine weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass zwischen den bescheinigten Arbeitsverhinderungen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt, besteht in der Regel ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls (BAG 11.12.2019 - 5 AZR 505/18 - NJW 2020, 1386, Rn 21). Dafür spricht auch, wenn die Arbeitsunfähigkeit in einem Jahr den absoluten Regelfall und die Arbeitsfähigkeit demgegenüber die absolute Ausnahme darstellte (LAG Köln 15.11.2016 - 12 Sa 453/16 -, Rn. 44, juris).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hinsichtlich Beginn und Ende der Erkrankung erschüttert. Es liegen nämlich gewichtige Indizien vor, die für einen einheitlichen Verhinderungsfall sprechen. Denn der Kläger hat im Jahre 2019 seit Mitte Januar fast durchgängig bescheinigte Arbeitsunfähigkeitszeiten mit nur geringen Unterbrechungen dargelegt. Die Arbeitsunfähigkeit bildete damit den absoluten Regelfall und die Arbeitsfähigkeit die absolute Ausnahme. Hinzukommt, dass zwischen den bescheinigten Arbeitsverhinderungen häufig nur einzelne arbeitsfreie Tage lagen.
c) Dem Kläger obliegt es mithin schlüssig aufzuzeigen, an welchen konkreten Tagen er arbeitsfähig gewesen ist und aus welchen Umständen sich dies ergeben hat. Der Darlegungslast ist er auch nicht ansatzweise nachgekommen. Als Außendienstmitarbeiter nimmt der Kläger seine Arbeit überwiegend oder überhaupt nicht beim Arbeitgeber auf. Umstände, die darauf schließen lassen, dass er genesen und seiner Arbeit tatsächlich zu den von ihm angegebenen Arbeitsfähigkeitszeiten nachgegangen ist oder auch nur nachgehen wollte, hat er nicht dargelegt. Weder hat er aufgezeigt, dass er den Arbeitgeber über die Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit bzw. über seine Arbeitsaufnahme informiert hat, noch hat vorget...