Entscheidungsstichwort (Thema)
"Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Dringender Tatverdacht als "wichtiger Grund". Kein hinreichender Täuschungsverdacht bei Vorlage einer nicht ordnungsgemäßen negativen Corona-Testbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zum Vorwurf der Vorlage eines nicht ordnungsgemäßen Corona-Testnachweises zu Täuschungszwecken
Leitsatz (redaktionell)
1. Für den "wichtigen Grund" für eine außerordentliche Kündigung müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.
2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Verfehlung kann einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Der Verdacht muss dringend sein. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein.
3. Ist nicht klar erkennbar, dass ein vorgelegter Testnachweis den zu diesem Zeitpunkt für den Betrieb geltenden Anforderungen nicht entsprach, ist jedenfalls kein dringender Verdacht hinsichtlich einer Täuschungsabsicht oder auch nur eines grob fahrlässigen Handelns feststellbar.
Normenkette
BetrVG § 103 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 15
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 03.11.2022; Aktenzeichen 5 BV 13/22) |
Tenor
- Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 03.11.2022 - 5 BV 13/22 - wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3..
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen im Bereich der Spezialchemie. Der Beteiligte zu 2. ist der am Standort der Antragstellerin in T gebildete Betriebsrat, dessen Mitglied der Beteiligte zu 3. ist.
Der am 1963 geborene, verheiratete Beteiligte zu 3. ist Vater eines Kindes (ohne Unterhaltspflicht) und seit dem 10.12.2000 bei der Antragstellerin, zuletzt als Projektingenieur im Bereich Technologie Film beschäftigt. Seine monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 8.577,00 Euro.
Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie kam es zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3. wiederholt zu Konflikten über die Berechtigung der Antragstellerin, Kontrollmaßnahmen hinsichtlich der zum damaligen Zeitpunkt geltenden 3G-Erfordernisse durchzuführen. Mit Schreiben vom 21.12.2021 sprach die Antragstellerin gegenüber dem Beteiligten zu 3. eine Abmahnung aus, weil dieser am 10.12.2021 und 16.12.2021 die Arbeitsstätte ohne Vorlage eines 3G-Nachweises betreten hatte. In seiner Gegendarstellung vom 31.01.2022 vertrat der Kläger die Auffassung, zur Kontrolle der 3G-Nachweise sei ausschließlich das Gesundheitsamt, nicht aber die Arbeitgeberin berechtigt.
Am 16.03.2022 legte der Beteiligte zu 3. bei der 3G-Eingangskontrolle einen Corona-Negativtestnachweis vor, dessen Rechtsqualität zwischen den Beteiligten streitig ist. Die vom Beteiligten zu 3. vorgelegte und handschriftlich ausgefüllte Bescheinigung weist als Ausstellungsdatum den 15.03.2022, 17:05 Uhr, und als Ausstellerin Frau Dr. K aus, bei der es sich unstreitig um eine Heilpraktikerin handelt.
Mit Schreiben vom 11.04.2022 (Kopie Bl. 47, 48 d.A.) hörte die Antragstellerin den Beteiligten zu 3. zu Verdachtsmomenten hinsichtlich der Vorlage eines gefälschten bzw. nicht richtig dokumentierten SARS-COV-2-Antigentests an und bezog sich hierbei insbesondere auf einen fehlenden Barcode zur Überprüfung der Echtheit des Testergebnisses, eine fehlende Teststellennummer sowie den Umstand, dass Frau Dr. K nach Auskunft des Rheinisch-Bergischen Kreises für die Durchführung der Bürgertestungen nicht beauftragt war sowie auf die fehlende Bereitschaft des Beteiligten zu 3., eine Kopie des Testergebnisses anfertigen zu lassen. Mit E-Mail vom 10.04.2022 erklärte der Kläger, dass Frau Dr. K als zugelassene Testerin zertifiziert/akkreditiert sei. Sie habe ihm seine Zertifikatsurkunde gezeigt und sei dort auch mit einer "lfd. Nummer" offiziell als eingetragene Testerin geführt, wobei ihm der Name der akkreditierenden Gesellschaft entfallen sei. Sollte entgegen seinen Erwartungen und treuem Glauben tatsächlich eine "betrügerische Täuschung" o.ä. von Frau Dr. K vorliegen, sei er gefordert, ihr gegenüber einen Regress geltend zu machen. Bislang lägen für ihn jedoch keine Anhaltspunkte für eine betrügerische Absicht der Frau Dr. K vor. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme des Klägers wird auf Bl. 49 d.A. Bezug genommen.
Mit per E-Mail übersandten Schreiben vom 25.04.2022 unterrichtete die Antragstellerin den Beteiligten zu 2. über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Betei...