Entscheidungsstichwort (Thema)
Frühes Verlangen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats
Leitsatz (amtlich)
1. Macht der Arbeitgeber von seinem Regelungsspielraum des § 5 Abs. 1 EFZG, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner Arbeitnehmer auch dann zu verlangen, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht länger als drei Tage dauert, Gebrauch, so betrifft dies die betriebliche Ordnung. Der Betriebsrat hat dann ein zwingendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
2. In mitbestimmten Angelegenheiten, für deren Regelung der Betriebsrat zuständig ist, kann eine zwischen ihm und dem Arbeitgeber geschlossene Betriebsvereinbarung nicht durch eine zwischen Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber geschlossene Betriebsvereinbarung abgelöst werden.
3. Der Arbeitgeber kann die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG nicht dadurch begründen, dass er eine unternehmensweite Regelung zur Regelung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall verlangt.
Normenkette
EFZG § 5 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 6
Verfahrensgang
ArbG Köln (Aktenzeichen 2 BVGa 16/13) |
Tenor
1.
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Arbeitsgericht Mönchengladbach - Az.: 5 BV 38/13) zu unterlassen, Arbeitnehmern die Auflage zu erteilen, ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, soweit nicht die Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder eine die Zustimmung des Beteiligten zu 1) ersetzende Entscheidung des Gremiums nach § 5 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Betriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 05.02.2001 nebst Ergänzungsvereinbarung vom 26.08.2010 vorliegt. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,-- € angedroht.
2.
Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, den Arbeitnehmern im Betrieb F K -B /T -S bekannt zu geben und in den dortigen Arbeitsbereichen auszuhängen, dass die den Arbeitnehmern erteilte Auflage, ab sofort ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, unwirksam ist.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Durchführung einer Betriebsvereinbarung sowie Unterrichtung der Arbeitnehmer über die Unwirksamkeit einer Anordnung der Arbeitgeberin.
Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb K -B /T -S gewählte Betriebsrat. In diesem Betrieb sind etwa 2.350 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 2), ist ein Unternehmen der Paketlogistikbranche, welches in der Bundesrepublik Deutschland 72 Betriebe unterhält. Der Beteiligte zu 3) ist der gewählte Gesamtbetriebsrat.
Der Beteiligte zu 1) hat mit der Arbeitgeberin unter dem 05.02.2001 eine "Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über die Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung Ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall" (BV) abgeschlossen. Diese BV regelt u.a. in § 4, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage Kalendertage dauert, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hat. In begründeten Zweifelsfällen besteht nach § 5 BV unter näher bestimmten Voraussetzungen eine frühere Nachweispflicht, wobei die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen ist. Im Falle der Zustimmungsverweigerung ist geregelt, dass ein Gremium bestehend aus einem Mitglied der Arbeitgeberseite, des Betriebsrates sowie einem Arbeitsmediziner entscheidet und ggfs. die fehlende Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Wegen der Einzelheiten der BV nebst Anhang 1 vom 26.08.2010 wird auf Bl. 18 ff. d.A. Bezug genommen.
Die Beteiligte zu 2) hat die BV zum 31.01.2013 gekündigt. Ferner hat sie unter dem 13.02.2013 mit dem Gesamtbetriebsrat die mit ihm abgeschlossene Allgemeine Arbeitsordnung (AAO) vom 22.01.2008 in deren § 9 teilweise abgeändert. Unverändert blieb die Regelung, dass jeder erkrankte Mitarbeiter verpflichtet ist, bereits ab dem ersten Tag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer vorzulegen. Wegen der Einzelheiten der AAO wird auf Bl. 24 ff. d.A. verwiesen.
Die Beteiligte zu 2) informierte unter dem 04.03.2013/05.03.2013 die Mitarbeiter im Kölner Betrieb davon, dass die AAO überarbeitet worden sei. Wie für die anderen Mitarbeiter in Deutschland gelte nunmehr, dass ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Mitteilung wird auf Bl. 23 d.A. verwiesen.
Hiergegen we...