Entscheidungsstichwort (Thema)
Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen im Beschlussverfahren. Ausschreibung von Arbeitsplätzen im Betrieb. Erneute Stellenausschreibung nach Abschluss des Besetzungsverfahrens. "Dringende Erforderlichkeit" i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Arbeitsgericht ist nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG verpflichtet, den dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. So muss es den für die Entscheidung bedeutsamen Sachverhalt unabhängig von der rechtlichen Würdigung durch die Verfahrensbeteiligten aufklären. Dazu zählt auch die Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen, die von keinem Verfahrensbeteiligten in das Verfahren eingeführt worden waren.
2. Gem. § 93 BetrVG kann der Betriebsrat verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, allgemein oder für bestimmte Arten von Tätigkeiten vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. Damit sollen die Arbeitnehmer von der zu besetzenden Stelle Kenntnis erhalten und die Möglichkeit haben, sich auf die Stelle zu bewerben.
3. Ist die offene Stelle besetzt worden, jedoch durch die Kündigung des Stelleninhabers nach wenigen Monaten wieder frei geworden, muss die Stelle erneut innerbetrieblich ausgeschrieben werden. Unterbleibt dies, hat der Betriebsrat ein Widerspruchsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG.
4. Um eine dringende Erforderlichkeit einer vorläufigen Personalmaßnahme bejahen zu können, ist es notwendig, dass der Arbeitgeber den Arbeitsplatz im Interesse seines Betriebs zur Sicherung eines ordnungsgemäßen betrieblichen Ablaufs ohne Aufschub besetzen muss. Das Merkmal "aus sachlichen Gründen" in § 100 Ab. 1 Satz 1 BetrVG bedeutet zudem, dass die Dringlichkeit auf vom Arbeitgeber nicht voraussehbaren Umständen beruhen muss, nicht aber auf selbst verursachten Umständen.
Normenkette
ArbGG § 83 Abs. 1 S. 1; BetrVG §§ 93, 95 Abs. 3, § 99 Abs. 1, 2 Nr. 5, Abs. 4, § 100 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 12.08.2021; Aktenzeichen 5 BV 3/21) |
Tenor
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur Versetzung der Arbeitnehmerin M C sowie über die dringende Erforderlichkeit dieser Personalmaßnahme.
Die Arbeitgeberin ist ein auf Dialogmarketing, Adress- und Datenmanagement spezialisiertes Unternehmen im Konzern D P Group. Mit Wirkung vom 25.05.2018 richtete die Arbeitgeberin ihre Betriebsorganisation neu aus. Mit der Neuausrichtung ging einher, dass Bereiche, Abteilungen und Funktionen geändert, ausgebaut oder aufgelöst und Arbeitnehmer in andere Abteilungen umgesetzt wurden. Im Zuge dieser Umgestaltung versetzte sie von ihr als leitende Angestellte angesehenen Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter, darunter auch Frau P und Frau C , auf Abteilungsleiterpositionen in anderen Abteilungen, ohne zuvor den bei ihr gebildeten Betriebsrat beteiligt zu haben. Frau P sollte die Leitung der Abteilung Data Services übernehmen. Frau C sollte Leiterin der Abteilung Data Architecture werden. Auf Antrag des Betriebsrats verpflichtete das Arbeitsgericht Siegburg die Arbeitgeberin mit Beschluss vom 13.06.2019, die Versetzungen aufzuheben. Mit Schreiben vom 10.01.2020 unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass sie die Versetzungen zurücknehme und ihn, den Betriebsrat, vor den von ihr beabsichtigten erneuten Versetzungen mit der Bitte um Zustimmung beteilige. Zugleich unterrichtete sie den Betriebsrat über die vorläufige Durchführung dieser personellen Maßnahmen. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu den erneuten Versetzungen unter anderem wegen unterbliebener Ausschreibung der zu besetzenden Abteilungsleiterstellen.
Am 26.06.2020 schrieb die Arbeitgeberin die Stelle der Abteilungsleitung Data Services intern aus. Auf die Stelle bewarben sich Herr G , ein Mitglied des Betriebsrats, und die auf der ausgeschriebenen Position seit dem 10. 01.2020 vorläufig eingesetzte Frau P . Mit beiden Bewerbern wurde jeweils ein Bewerbungsgespräch geführt. Ende Dezember 2020 kündigte Frau P ihr Arbeitsverhältnis zum 28.02.2021.
Am 09.02.2021 bewarb sich Frau C auf die Stelle der Abteilungsleitung Data Services. Daraufhin unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat am 12.02.2021 mit der Bitte um Zustimmung über die nunmehr von ihr beabsichtigte Versetzung von Frau C auf diese Stelle. Die Einholung der Zustimmung erfolgte dabei ausdrücklich vorsorglich, da es sich bei Frau C aus Sicht der Arbeitgeberin um eine leitende Angestellte handelte. Mit Schreiben vom 01.03.2021 unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass sie die Versetzung mit sofortiger Wirkung vorläufig durchführe, weil dies aus ihrer Sicht aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sei.
Mit E-Mail-Schreiben vom 02.03.2021 bestritt der Bet...