Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Betriebsbegriff. Betriebsteile. „räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt”. „eigenständige Organisation”
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung des Merkmals der „eigenständigen Organisation” i. S. v. § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG.
2. Für das Merkmal „räumlich weit entfernt” i. S. v. § 4 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG kommt es nicht auf starre km-Grenzen an, sondern darauf, ob nach den Umständen des Einzelfalls ein einheitlicher Betriebsrat die Belegschaftsmitglieder beider Betriebsstätten noch mit der notwendigen Intensität persönlich betreuen könnte.
3. Das Kriterium der „lebendigen Betriebsgemeinschaft” ist zu unbestimmt, um mehr als eine untergeordnete Hilfsfunktion bei der Subsumtion von § 4 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG spielen zu können. Insbesondere spricht das Fehlen einer „lebendigen Betriebsgemeinschaft” nicht dafür, dass zwei Betriebsstätten „räumlich weit” voneinander „entfernt” sind.
4. Zwei im Kölner Umland gelegene, ca. 24 km voneinander entfernte Betriebsstätten sind trotz schlechter Verbindung mit dem ÖPNV nicht „räumlich weit” voneinander „entfernt” i. S. v. § 4 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG, wenn die Fahrtdauer mit dem Pkw etwa 17 bis 18 Minuten beträgt und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Belegschaftsmitglieder im Regelfall auf den ÖPNV angewiesen sind.
Normenkette
BetrVG §§ 1, 4 Abs. 1, § 19
Verfahrensgang
ArbG Köln (Beschluss vom 04.07.2002; Aktenzeichen 8 BV 28/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners/Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 04.07.2002 in Sachen 8 BV 28/02 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der Betriebsratswahl in der Niederlassung H vom 15.02.2002 durch die Arbeitgeberin.
Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Unternehmen auf dem Gebiet der Schwerlastlogistik. Sie verfügt über eine Vielzahl von Kränen und Autokränen bis hin zu 500 t – Großkränen. Die Zentrale des Unternehmens mit dem Sitz der Geschäftsleitung ist in B angesiedelt. Ferner unterhält das Unternehmen eine Niederlassung in H -B und eine weitere in D. Insgesamt werden ca. 150 Arbeitnehmer beschäftigt, davon 48 in der Niederlassung H, ca. 20 bis 30 in D und alle übrigen am Zentralsitz in B. Das Unternehmen ist aus den bis Anfang der 1990er Jahre selbständigen Firmen B mit Sitz in H -B und W mit Sitz in B hervorgegangen.
Die räumliche Entfernung zwischen den Betriebsstätten in B und H -B beträgt je nach Fahrtstrecke zwischen 23,2 und 24,8 km. Davon können ca. 17 km auf der Autobahn A 61 zurückgelegt werden. Die durchschnittliche Fahrtdauer zwischen den beiden Betriebsstätten beträgt mit dem Auto ca. 18 Minuten. Für die „schnellste” Verbindung mit dem ÖPNV werden 77 Minuten für die einfache Strecke benötigt.
Jeder Niederlassung steht ein Niederlassungsleiter vor. Die Befugnisse der Niederlassungsleiter sind in einer Geschäftsordnung geregelt, auf deren vollständigen Inhalt (Bl. 41 – 43 d. A.) Bezug genommen wird. Laut Präambel der Geschäftsordnung ist der Niederlassungsleiter „für den Geschäftsablauf im organisatorischen und fachlichen Bereich in seiner Niederlassung verantwortlich”. Über die Kompetenzen des Niederlassungsleiters im Personalbereich heißt es in der Geschäftsordnung wie folgt:
„Einstellungen von gewerblichen Mitarbeitern können eigenständig, jedoch nach vorheriger Abstimmung mit der Geschäftsleitung innerhalb des für ihren Bereich gültigen Personalplans und Budgets sowie innerhalb des für ihren Bereich gültigen Vergütungsrahmens vorgenommen werden.
Einstellungen von Angestellten werden nur durch die Geschäftsführung vorgenommen. Die Niederlassungsleiter unterbreiten der Geschäftsführung entsprechende Vorschläge.
Entlassungen werden generell für gewerbliche Mitarbeiter sowie für Angestellte nur in Absprache mit der Geschäftsführung vorgenommen.
Abmahnungen sind genehmigungspflichtig.”
In der Zentrale in B befindet sich eine einheitliche Personalabteilung für alle drei Niederlassungen. Hier werden die Personalakten aller Arbeitnehmer geführt. Auch die Lohnbuchhaltung für alle drei Niederlassungen einschließlich der Lohnabrechnungen erfolgt zentral von B aus. Die Urlaubsplanung wird faktisch von den Disponenten vor Ort durchgeführt. Einteilungen zu Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, die sich aus dem operativen Geschäft ergeben, nimmt der Niederlassungsleiter vor.
Bei der überwiegenden Mehrzahl aller Arbeitnehmer sowohl in B wie auch in H handelt es sich um Kranführer bzw. Kraftfahrer. Die Niederlassung H verfügt über 33 Kräne in der Größenordnung bis 225 t, die Betriebsstätte B verfügt über Kräne bis zu 500 t. Aufträge, die den Einsatz von Großkränen über 225 t erfordern, werden daher nur von B aus ausgeführt. Ansonsten bedienen alle drei Niederlassungen ein bestimmtes ihnen zugeordnetes geografisches Segment. Kommt es in einer Niederlassung zu Kapazitätsengpässen, wird bei Bedarf auch überörtlich di...