Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung. Innerer Zusammenhang zwischen zwei Krankheiten. Überlappende Arbeitsunfähigkeiten. Einheit des Verhinderungsfalls. Erschöpfungseinwand. Arbeitszeit zwischen zwei Arbeitsunfähigkeiten. Verschiedenartigkeit der Krankheiten. Hintereinanderreihung der erforderlichen Therapien mit Auslösung von zwei Arbeitsunfähigkeitszeiten. Ärztliche Schweigepflicht als Beweishindernis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Lehnt der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung ab, weil er davon ausgeht, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf demselben Grundleiden wie eine kurz zuvor ausgelöste Ausfallzeit mit Lohnfortzahlung beruht bzw. sich die beiden Krankheiten wechselseitig verursacht haben – „Einheit des Verhinderungsfalls” –, kann er sich nicht auf einen Beweis des ersten Anscheins berufen, wenn keine überwiegenden Umstände für einen inneren Zusammenhang zwischen den beiden Arbeitsunfähigkeitszeiten sprechen. Einen Beweis müsste er durch ein Sachverständigengutachten führen, wofür er allerdings eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht des Arbeitnehmers beibringen muss.

2. Eine Einheit des Verhinderungsfalls liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Arbeitsunfähigkeiten tatsächlich arbeitet.

 

Normenkette

SGB X § 115 Abs. 1, § 69 Abs. 4; SGB V § 278 Abs. 1 S. 2, § 277 Abs. 2; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1; ZPO § 418 Abs. 1-2; LohnFG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Urteil vom 19.07.2001; Aktenzeichen 3 Ca 805/01)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.07.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen – 3 Ca 805/01 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I. Die Parteien – nämlich die klagende Ersatzkasse und die beklagte KG, die den bei der Klägerin versicherten Arbeitnehmer F. beschäftigt und ihm unter dem 15.11.2000 betriebsbedingt zum 30.06.2001 gekündigt hat streiten um die Erstattung von Krankenvergütung für sechs Wochen in Höhe von 3.380,04 DM, die die Klägerin dem Arbeitnehmer in der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 09.11.2000 bis 21.01.2001 gezahlt hat, nachdem die Beklagte eine Entgeltfortzahlung abgelehnt hatte. Die Arbeitsunfähigkeit beruhte auf einer Operation des Arbeitnehmers an der rechten Hand wegen eines Karpaltunnelsyndroms, das sich durch Sensibilitätsstörungen bemerkbar machte. Die Beklagte begründet ihre Ablehnung mit der Behauptung, es liege eine Arbeitsunfähigkeit „infolge derselben Krankheit” vor, derentwegen der Arbeitnehmer schon vom 07.08. bis 01.11.2000 arbeitsunfähig war. Diese Arbeitsunfähigkeit beruhte ebenfalls auf einer Operation an der rechten Hand – allerdings wegen einer Dupuytren – Erkrankung. Die Klägerin hat ein Sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein vorgelegt. Demzufolge besteht kein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen; zudem sei die zweite Operation nicht wegen der ersten erforderlich geworden und sei nicht als deren Folge anzusehen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Arbeitnehmer F. hatte für seine Arbeitsunfähigkeit ab 09.11.2000 einen Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen, der durch den Eintritt der Klägerin auf diese übergegangen ist (§ 115 Abs. 1 SGB X, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG).

Zu Unrecht erhebt die Beklagte den Erschöpfungseinwand (Erschöpfung der auf sechs Wochen begrenzten Entgeltfortzahlungspflicht). Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf verschiedenen Krankheiten beruhen, lösen jedesmal erneut eine sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht aus (Marienhagen/Künzl, Entgeltfortzahlung, § 3 Rn. 52). Daß dem vorliegend so war, ist durch das Gutachten des Medizinischen Dienstes bewiesen – und zwar gem. § 418 Abs. 1 ZPO. Es handelt sich bei dem Gutachten nämlich nicht wie die Beklagte meint – um ein Privatgutachten mit „dürftigem” Inhalt, sondern um eine öffentliche Urkunde mit gesetzlichem Inhalt. Denn der Medizinische Dienst ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 278 Abs. 1 S. 2 SGB V), deren Ärzte bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind (§ 275 Abs. 5 SGB V). Er ist auf Anfrage der Krankenkassen zur Abgabe einer gutachtlichen Stellungnahme verpflichtet, um diesen die Prüfung von Voraussetzung, Art und Umfang zu erbringender Leistungen zu ermöglichen (§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), wozu bei wiederholten Arbeitsunfähigkeitszeiten auch die Frage gehört, ob sie auf verschiedenen Krankheiten beruhen und deshalb für sechs Wochen die Leistungspflicht des Arbeitgebers der der Krankenkasse vorangeht.

Zwar ist der Beweis gem. § 418 Abs. 1 ZPO dem Gegenbeweis zugänglich (§ 418 Abs. 2 ZPO). Diesen hat die Beklagte jedoch nicht geführt:

Zunächst einmal kann sich die Beklagte nicht, wie sie es versucht, auf einen Beweis des ersten Anscheins berufen, wobei offenbleiben...

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