Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderung. Antragstellung. Kenntnis des Arbeitgebers. Darlegungs- und Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kenntnis des Arbeitgebers von den den Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX begründenden Tatsachen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ist grundlegende Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 4 Satz 4 KSchG.
2. Der Arbeitnehmer ist für das Vorliegen dieser Kenntnis darlegungs- und beweispflichtig.
Normenkette
KSchG § 4 S. 4; SGB IX § 69; SGB IX 85 ff.
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 12.03.2009; Aktenzeichen 12 Ca 8645/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.03.2009 – 12 Ca 8645/08 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie über Rückzahlungsansprüche der Beklagten wegen doppelt gezahlten Krankengeldes.
Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin ein Zeugnis zu erteilen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 2.351,95 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 96 ff. d. A.) Bezug genommen. Wenige Tage nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, am 23.03.2009, hat der Kreis E. im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens bei der Klägerin rückwirkend zum 08.05.2008 einen Grad der Behinderung von 50 anerkannt.
Gegen das ihr am 18.05.2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 09.04.2009 Berufung eingelegt und diese am 02.06.2009 begründet. Sie behauptet weiterhin, ihr Ehemann habe der Mitarbeiterin P. der Beklagten am 14.05.2008 vormittags telefonisch mitgeteilt, dass er beruflich für fünf Tage nach I. reisen und die Klägerin in Ermangelung einer anderweitigen Betreuungsmöglichkeit auf die Reise mitnehmen müsse. Er habe die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin im Einzelnen geschildert und dabei auch den am 24.04.2008 gestellten Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte erwähnt. Hinsichtlich der Widerklageforderung meint die Klägerin, der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten sei erstinstanzlich verspätet erfolgt. In der Sache liege die Überzahlung aber unstreitig vor.
Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Abänderung des am 19.03.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Az.: 12 Ca 8645/08,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.07.2008 zum 31.10.2008 nicht aufgelöst wurde und
- die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei. Sie meint, die Wirksamkeit der Kündigung folge bereits aus § 7 KSchG, da die Klägerin die Klagefrist des § 4 KSchG nicht eingehalten habe. § 4 Satz 4 KSchG komme hier nicht zum Tragen, da die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis von dem Antrag der Klägerin auf Feststellung der Schwerbehinderung gehabt habe. Insbesondere habe der Ehemann der Klägerin die Beklagte hierüber nicht informiert.
Das Gericht hat über die von der Klägerin behauptete Mitteilung der Stellung eines Antrags auf Anerkennung als Schwerbehinderte durch ihren Ehemann am 14.05.2008 Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 09.09.2009 durch Vernehmung der Zeugen P. M. und M. P.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.12.2009 (Bl. 225 ff. d. A.) verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage der Beklagten zur Rückzahlung des zu viel gezahlten Krankengeldes verurteilt.
1. Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.07.2008 gilt gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, denn die Klägerin hat eine mögliche Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig klageweise geltend gemacht.
a) Gemäß § 4 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitnehmer, der geltend machen will, dass eine Kündigung rechtsunwirksam ist, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, das...