Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderter. Mitteilungsfrist. Neuantrag. Kündigungsschutzklage. Vertrauensschutz. Vertreterverschulden. Rechtssekretär
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Mitteilung eines Neuantrags auf Feststellung einer Schwerbehinderung ist eine Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung einzuhalten, wenn die Schwerbehinderung nicht offensichtlich oder aus anderen Gründen dem Arbeitgeber bekannt war.
2. Für die Wahrung dieser Frist reicht die fristgerechte Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht.
3. Wird der Arbeitgeber erst in der Kündigungsschutzklage von dem Neuantrag unterrichtet, ist für den Fristeinhalt auf die Zustellung der Klage abzustellen.
4. Für nach dem 12.01.2006 zugegangene Kündigungen besteht kein schützenswertes Vertrauen darauf, dass für die Mitteilung einer festgestellten oder beantragten Schwerbehinderung weiter eine Mitteilungsfrist vom 1 Monat nach Kündigungszugang gelte.
Leitsatz (redaktionell)
Die in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2008 – Az. 2 AZR 395/07 – bestimmte Frist für die Mitteilung einer Schwerbehinderung von drei Wochen nach Kündigungszugang ist auch maßgeblich, wenn ein Neuantrag gestellt wurde, über den noch nicht entschieden würde.
Normenkette
SGB IX § 85
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 03.09.2009; Aktenzeichen 1 Ca 77/09) |
Tenor
Die Berufung der Streitverkündeten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 03.09.2009 (Az.: 1 Ca 77/09) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren im Wesentlichen nur noch über die Frage, binnen welcher Frist eine Schwerbehinderung nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber mitzuteilen ist.
Die am … 1947 geborene Klägerin ist seit dem 01.06.1988 als Maschinenfrau (Lohngruppe 3) zu einem Bruttomonatsgehalt von ca. 1.800,00 EUR bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung von Fischkonserven mit zum Zeitpunkt der Kündigung ca. 276 Arbeitnehmern. Am 24.11.2008 stellte die Klägerin, der vorher ein GdB von 40 zuerkannt war, einen neuen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte.
Die Beklagte beschloss, im Produktionsbereich ein Filoband und zwei Hauptpackbänder stillzulegen, die nicht produktiven Bereiche entsprechend anzupassen und die Stellen von 58 gewerblichen Arbeitnehmern und 9 Angestellten abzubauen. Daraufhin trat sie mit dem Betriebsrat in Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans ein, die zunächst ergebnislos verliefen. Auf der Sitzung der sodann angerufenen Einigungsstelle am 15.12.2008 trafen die Betriebspartner Vereinbarungen zur Sozialauswahl anhand eines Punkteschemas. Danach sollten u. a. Arbeitnehmergruppen nach Lohngruppen und Alter gebildet und Schwerbehinderte von der Kündigung generell ausgenommen werden. Über den Verlauf der Sitzung wurde ein Protokoll erstellt, bezüglich dessen Inhalt auf die Anlage B 5 (Bl. 89 f. d. A.) Bezug genommen wird. Am 17.12.2008 unterzeichneten Betriebsrat und Arbeitgeber einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der auch die Klägerin steht.
Nach Erteilung der Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit zur Massenentlassung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 18.12.2008, dieser zugegangen am 19.12.2008, fristgemäß zum 31.07.2009. Hiergegen reichte die Klägerin, vertreten durch einen Rechtssekretär der Streithelferin, am 09.01.2009 bei Gericht Klage ein und wies darauf hin, dass bei ihr ein Grad der Behinderung von 40 in der Vergangenheit festgestellt worden sei und sie zwischenzeitlich einen Neufeststellungsantrag gestellt habe, über den noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Die Klage wurde der Beklagten, die von der Antragsstellung vorher nichts wusste, am 14.01.2009 zugestellt. Mit Bescheid vom 09.03.2009 erkannte das Landesamt für soziale Dienste der Klägerin mit Wirkung zum 24.11.2008 einen Grad der Behinderung von 50 zu (Kopie des Bescheids Bl. 33 d. A.).
Die Klägerin hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung bestritten, ferner, dass dem Betriebsrat die Namensliste vorgelegen habe, die zum Gegenstand der Kündigung gemacht worden sei und dass Interessenausgleich und Namensliste eine Urkunde bildeten. Dazu hat sie vorgetragen, die Namensliste sei unstreitig erst am 17.12.2008 unterzeichnet worden. Damit könne eine Zusammenheftung von Interessenausgleich und Namensliste zwangsläufig erst nach Zustandekommen des Interessenausgleichs vorgenommen worden sein. Zudem liege die Bildung von Altersgruppen zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs nicht im berechtigten betrieblichen Interesse. Insoweit sei auch die soziale Auswahl nicht korrekt. Bei der Beklagten seien eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer, die die Klägerin auch im Einzelnen benenne, beschäftigt, die sozial weniger schutzwürdig seien. Im Übrigen sei sie als Schwerbehinderte von der Kündigung generell ausgenommen und es fehle die Zustimmung des Integrationsamtes...