Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bei unwiderruflicher Freistellung nach Kündigung. Freistellung unter Anrechnung von Urlaub als Erlassvertrag. Rücknahme der Kündigung ohne Auswirkung auf Entgeltanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Die Pflicht der Arbeitgeberin zur Zahlung des Entgelts aus dem Arbeitsverhältnis und damit ihre "Gegenleistungspflicht" aus dem Arbeitsvertrag, entfällt nicht wegen der Nichtleistung von Arbeit gemäß § 326 Abs. 1 BGB, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin zuvor unter Anrechnung auf noch bestehende Urlaubsansprüche und Freistellungsansprüche aus Mehrarbeit unwiderruflich freigestellt hat. Denn der Anspruch der Arbeitgeberin gegen die Arbeitnehmerin auf Erbringung der Primärleistung aus dem Arbeitsvertrag, nämlich der Anspruch auf die Arbeitsleistung, ist nicht wegen Unmöglichkeit gemäß § 275 BGB untergegangen, sondern er ist - bevor er hätte untergehen können - aufgrund von Urlaubsgewährung, aufgrund von Freistellung wegen zuvor erbrachter Mehrarbeit und im Übrigen aufgrund eines Erlassvertrages entfallen (Abgrenzung BAG v. 23.02.2021 - 5 AZR 314/20 - und BAG v. 19.03.2002 - 9 AZR 16/21 -).
2. Wird eine ordentliche Kündigung, mit der zusammen eine unwiderrufliche Freistellung von der Arbeitsleistung unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche ausgesprochen worden war, von der Arbeitgeberin "zurückgenommen", hat dies keine Auswirkungen auf den Entgeltanspruch während der Kündigungsfrist, für die die Freistellung erklärt worden war. Das gilt selbst dann, wenn noch während der Kündigungsfrist ein Teilanerkenntnisurteil über den Kündigungsschutzantrag der Arbeitnehmerin ergeht.
Normenkette
BGB §§ 611a, 275, 326, 615, 151, 397, 313 Abs. 1; ZPO § 91
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 14.07.2021; Aktenzeichen 2 Ca 589/21) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.07.2021 - 2 Ca 589/21 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.776,67 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2021.
- Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an die Klägerin 2.050,00 EUR brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2021.
- Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin einen Tankgutschein mit einem Wert von 40,00 EUR jeweils für die Monate Mai 2021 und Juni 2021 zu übereignen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Urlaubsentgelt und Arbeitsentgelt für die Monate Mai und Juni 2021, während derer die Klägerin keine Arbeitsleistung erbracht hat. Dabei geht es um den Zeitraum nach Zugang eines Kündigungsschreibens, mit dem die Beklagte die Klägerin gleichzeitig unter Anrechnung von Urlaubsansprüchen und Freistellungsansprüchen aus Überstunden für die Zeit der Kündigungsfrist unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt hatte.
In rechtlicher Hinsicht ist zwischen den Parteien im Streit, ob sich eine Arbeitgeberin mit einer solchen unwiderruflichen Freistellungserklärung bloß in Annahmeverzug begibt, oder ob sie damit den Abschluss eines Erlassvertrages anbietet, der von der Arbeitnehmerin ggfls. stillschweigend angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang stellt sich im konkreten Fall die Frage, welche Auswirkungen die spätere Erklärung der Beklagten hatte, sie leite aus der Kündigung keine Rechte mehr her, ob ein Teilanerkenntnisurteil hinsichtlich der von der Klägerin erhobenen Kündigungsschutzklage Auswirkungen auf den Entgeltanspruch haben kann und schließlich, ob die Klägerin zur Aufrechterhaltung ihres Entgeltanspruchs leistungsbereit sein musste.
Die Klägerin ist seit dem 01.04.2004 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Als vertraglich vereinbarte Vergütung erhielt sie zuletzt pro Monat 2.050,00 EUR brutto zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen in Höhe von 40,00 EUR. Außerdem erhielt sie monatlich einen Tankgutschein im Wert von ebenfalls 40,00 EUR. In der Arbeitsvertragsurkunde heißt es unter anderem wörtlich:
§ 5 Arbeitszeit /Überstunden
Die Arbeitszeit beträgt wöchentlich derzeit 25 Stunden ohne Berücksichtigung von Pausen. Die Regelarbeitszeit ist Montag bis Freitag von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Dem Mitarbeiter wird die Gelegenheit gegeben, Überstunden abzubauen, sofern es die betriebliche Lage erlaubt.
Mit Schreiben vom 19.03.2021 (Bl. 7 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2021. In diesem Kündigungsschreiben heißt es unter anderem ausdrücklich:
Wir stellen Sie zudem ab sofort, unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung gegen Fortzahlung Ihrer vertragsgemäßen Vergütung und unter Anrechnung von Resturlaubsansprüchen und Überstunden frei.
Mit der seit dem 25.03.2021 beim Arbeitsgericht Bonn anhängigen Klage hat sich die Klägerin gegen diese ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt. Mit ...