Rechtsmittel zugelassen

 

Leitsatz (amtlich)

Die o. a. tarifliche Bestimmung („Es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall.”) ist dahin auszulegen, daß im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit der Lohn in Höhe von 100 % fortzuzahlen ist.

 

Normenkette

Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) Nordwestdeutschland vom 14.09.1993 § 6 Nr. III

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 24.03.1997; Aktenzeichen 14 Ca 2206/97)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.03.1997 – 14 Ca 2206/97 – wird geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 646,00 brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen vom Nettobetrag seit dem 18.03.1997.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte (GmbH) stellt Gasbetonsteine und Fertighäuser her. Der Kläger ist bei ihr als Arbeiter tätig mit einem Stundenlohn von 23,75 DM. Am 10.01. und vom 15. bis 24.01.1997 war er arbeitsunfähig krank. Die Beklagte hat ihm für diese Zeit für 56 Stunden vom vereinbarten Lohn 80 % gezahlt (56 × 23,75 DM abzüglich 266 DM = 20 %) gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFG) in der ab 01.04.1996 geltenden Fassung (BGBl. I S. 1477). Der Kläger macht demgegenüber geltend, Anspruch auf Zahlung in Höhe von 9 Tagen á 8 Stunden zu 23,75 DM in voller Höhe zu haben aufgrund von § 6 Nr. III des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) Nordwestdeutschland vom 14.09.1993 (RTV-Betonstein, Hülle Bl. 48 d. A.), der für die Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung gelte. Diese Bestimmung lautet:

§ 6

Arbeitsausfall

I. …

II. …

III. Arbeitsausfall infolge Krankheit

Es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall.

Der Kläger macht geltend: Bei der Bestimmung des § 6 Nr. III RTV-Betonstein handele es sich um eine sogenannte statische Verweisung, bei der aufgrund der tarifgeschichtlichen Entwicklung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle davon auszugehen sei, daß die Tarifvertragsparteien dem Regelungsgehalt der Tarifbestimmung an die Fassung des Gesetzes zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrages binden wollten. Da der Rahmentarifvertrag aus dem Jahre 1993 stamme, sei hier davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien eine hundertprozentige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gewollt hätten, so daß die Neuregelung des § 4 EFG nicht durchschlage. Mithin habe die Beklagte für die krankheitsbedingten Ausfallzeiten entgegen § 4 EFG nicht nur 80 von Hundert des Arbeitsentgeltes zu vergüten, sondern 100 %. Die Differenz betrage hier 646 DM brutto.

Der Kläger hat demgemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 646 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit Klagezustellung (18.03.1997) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht: Im vorliegenden Fall enthalte der RTV keine Hinweise auf eine Eigenständigkeit einer Regelung der Entgeltfortzahlung. Aus dem Vertragstext der vorangegangenen tariflichen Regelungen werde im Ergebnis deutlich, daß sich die Tarifvertragsparteien von jeher entweder auf die teilweise Wiedergabe des Gesetzestextes (1958) oder eine Bezugnahme auf das Gesetz (1975) beschränkt hätten. Da die gesetzlichen Vorschriften ohnehin unabdingbar gewesen seien, habe für die Tarifvertragspartei kein Regelungsbedarf hinsichtlich des Grundtatbestandes für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und daraus folgend auch kein anderweitiger Regelungswille bestanden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Der Kläger hat Berufung eingelegt. Er verfolgt seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter. Seine Begründung ergibt sich aus seinem Schriftsatz vom 29.08.1997, die Erwiderung der Beklagten aus deren Schriftsatz vom 17.09.1997.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist statthaft, § 64 Abs. 2 Alternative 1 ArbGG. Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist begründet. Der Anspruch des Klägers besteht. Er ergibt sich aus § 6 Nr. III RTV-Betonstein vom 14.09.1993. Danach „gelten” bei Arbeitsausfällen infolge Krankheit die Bestimmungen des Gesetztes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle. Mit „Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle” war gemeint das Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (LFG) vom 27.07.1969 (BGBl. I S. 946). Nach diesem Gesetz war dem Arbeiter das ihm zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen, d. h. zu 100 % (§ 2 Abs. 1 S. 1).

1. Die Bestimmung des § 6 Nr. III des RTV-Betonstein ist eine Rechtsnorm. Sie ist selbst Rechtsgrundlage für Ansprüche („konstitutiv”) und nicht nur eine („deklara-torische”) Verweisung auf das LFG, das erst seinerseits Rechtsgrundlage für Ansprüche wäre.

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