Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung. Anhörung. Integrationsamt. Fristversäumung
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Arbeitnehmer von Kenntnis vor dessen Schwerbehinderung bereits zum Verdacht (hier: des Betrugs) angehört worden, beginnt die Frist zur Antragstellung nach § 91 Abs. 2 SGB IX mit Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung. Eine erneute Stellungnahme des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich, insbesondere dann nicht, wenn er bei seiner ersten Anhörung bereits jede Tatbeteiligung abgestritten hat. Ob eine Verbindung zwischen Verdacht der Straftat und Behinderung besteht, ist vom Integrationsamt zu würdigen. Im Rahmen des Zustimmungsverfahrens hat der Arbeitgeber ausreichend Gelegenheit, sich darüber klar zu werden, ob er die Kündigungsmöglichkeit, die durch das Zustimmungsverfahren eröffnet wird, nutzen möchte. Das Verstreichen der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX ist von den Arbeitsgerichten zu prüfen und wird nicht durch eine Entscheidung des Integrationsamtes präjudiziert.
Normenkette
SGB IX § 91 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 16.01.2003; Aktenzeichen 11 Ca 7423/02) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.01.2003 – 11 Ca 7423/02 – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren nur noch darum, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers durch fristlose Kündigung vom 17.09.2002 mit Zugang am 17.09.2002 beendet wurde.
Kündigungsgrund ist der Verdacht, der Kläger habe in sechs Fällen Bestechungsgelder angenommen und an einem vollendeten Betrug zu Lasten der Beklagten mitgewirkt. Dieser Verdacht beruht auf einer Anklageschrift gegen weitere Mitarbeiter der Beklagten, die der Beklagten am 09.07.2002 bekannt gegeben wurde.
Am 10.07.2002 wurde dem Kläger eine Kopie hiervon übergeben und er wurde aufgefordert, zu diesem Verdacht Stellung zu nehmen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.07.2002 wies der Kläger die ihn belastenden Aussagen der früheren Kollegen zurück und behauptete, an den Bestechungsvorgängen nicht beteiligt gewesen zu sein. Am 08.08.2002 erlangte die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt war. Am 12.08.2002 forderte die Beklagte sowohl schriftlich als auch mündlich im Rahmen der Güteverhandlung im vorliegenden Verfahren den Kläger erneut auf, zu dem Verdacht Stellung zu nehmen und insbesondere zur Frage, ob seine Schwerbehinderung mit den Straftaten im Zusammenhang stehe. Bereits im Rahmen der mündlichen Besprechung mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am selben Tag wies dieser erneut den Verdacht vollständig zurück. Auch mit Schreiben vom 19.08.2002, in dem der Klägerprozessbevollmächtigte im Übrigen Fristverlängerung hinsichtlich der gewünschte Stellungnahme bei der Beklagten beantragte, verwies der Prozessbevollmächtigte auf die völlige Unschuld des Klägers. Mit Abschlussschreiben vom 26.08.2002 wiederholte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Unschuldsbehauptungen. Mit Schreiben vom 28.08.2002 beantragte die Beklagte die Zustimmung sowohl des Personalrates als auch des Integrationsamtes zur Kündigung. Diese wurde seitens des Integrationsamtes mit Schreiben vom 11.09.2002, welches am 13.09.2002 zuging, erteilt. Mit Schreiben vom 17.09.2002 wurde per Boten an den Klägerprozessbevollmächtigten die letztlich noch streitgegenständliche Kündigung zugestellt.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Zwei-Wochen-Frist aus § 91 Abs. 2 SGB IX nicht eingehalten ist. Dem ist auch die erstinstanzliche Entscheidung gefolgt und hat die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.01.2003 – 11 Ca 7423/02 – teilweise abzuändern und die Klage des Klägers gegen die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17.09.2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den erstinstanzlichen Tatbestand Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Kündigung ist gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX unwirksam, da zwischen der Kenntnis der maßgebenden Tatsachen und dem Eingang des Antrags beim Integrationsamt mehr als zwei Wochen lagen.
Dabei kann nach allgemeiner Meinung die Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung als Kündigungstatsache im Sinne des § 91 Abs. 2 SGB IX gewertet werden. Diese Kenntnis lag bei der Beklagten am 08.08.2002 vor.
Eine weitere darüber hinausgehende Aufklärung war nicht erforderlich. Da die Beklagte vorliegend eine Verdachtskündigung aussprechen wollte, war sie zwar darauf angewiesen, den Arbeitnehmer zu den Verdachtselementen anzuhören und ihm die Gelegenheit der Entlastung zu geben. Dieses war allerdings bereits im Vorfeld der ersten, unwirksamen Kündigung geschehen. Eine weitere Aufklärung war nicht erforderlich.
Bei de...