Leitsatz (amtlich)

1. Das arbeitsvertragliche Kündigungsrecht des Arbeitgebers besteht nur zur Wahrnehmung eigener Interessen des Arbeitgebers, nicht zur Ahndung von Straftaten des Arbeitnehmers, auch nicht von Straftaten nach § 130 StGB („Volksverhetzung”).

2. Der dringende Verdacht, daß sich ein Arbeitnehmer einer Straftat nach § 130 StGB schuldig gemacht, rechtfertigt alleine noch keine fristlose Kündigung, auch nicht im öffentlichen Dienst. (im Ergebnis wie hier die Parallelurteile LAG Köln 14.12.1998 – 12 Sa 896/98 – und 10.08.1999 – 13 Sa 220/99 –).

 

Normenkette

BGB § 626 Nr. 1; BAT §§ 8, 54

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 23.10.1998; Aktenzeichen 3 Ca 343/98)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.10.1998 – 3 Ca 343/98 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

 

Gründe

Die Berufung ist unbegründet.

1. Die fristlose Kündigung der Beklagten (vom 02.01.1998) ist rechtsunwirksam aufgrund von § 54 Abs. 1 BAT (§ 626 Abs. 1 BGB). Danach kann das Arbeitsverhältnis fristlos nur gekündigt werden, wenn dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (kurz zusammengefasst). Aus der Kündigungsbegründung der Beklagten ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzung am 02.01.1998 für sie in Bezug auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin vorgelegen hat.

a) Die Beklagt stützt ihre Kündigung darauf, dass die Witzesammlung, die die Klägerin sich auf ihren Computer hatte übertragen lassen (im Juli 1996, 32 Seiten) und die sie später an die Arbeitskollegin Sch überspielt hat (im September 1996) auch die genannten (fünf) verletzenden Judenwitze enthalten hat und (drei) verletzenden Asylantenwitze und (drei) verletzende Türkenwitze, und dass der dringende Verdacht bestehe, dass die Klägerin dies gewusst hat entgegen ihrer Einlassung, und damit der dringende Verdacht, dass sich die Klägerin strafbar gemacht hatte nach § 130 StGB („Volksverhetzung”) und schuldhaft ihre arbeitsrechtliche Pflicht nach § 8 Abs. 1 BAT verletzt hatte („Der Angestellte hat sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes erwartet wird. Er muss sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen”); dieser Verdacht habe das Vertrauen der Beklagten in die Rechtschaffenheit der Klägerin völlig erschüttert und damit das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.

Bei der Kündigung der Beklagten handelt es sich daher um eine so genannte Verdachtskündigung.

b) Ein bloßer Verdacht macht nur unter besonderen Umständen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.

aa) Erstens muss sich der Verdacht auf eine schwer wiegende strafbare Handlung beziehen oder eine schuldhafte, schwer wiegende Pflichtverletzung, KR-Fischermeier, 5. Aufl. BGB § 626 Rn 210 ff. Dabei wird als selbstverständlich davon ausgegangen, dass es um eine strafbare Handlung gegen den Arbeitgeber geht. Das arbeitsrechtliche Kündigungsrecht des Arbeitgebers besteht nur zur Wahrnehmung eigener Interessen, nicht zu Vergeltung von Straftaten, auch nicht zur Vergeltung von Straftaten im Sinne von § 130 StGB. Straftaten, die ein Arbeitnehmer nur gelegentlich des Arbeitsverhältnisses begeht, die sich aber nicht gegen den Arbeitgeber richten, sind kündigungsrechtlich anders zu beurteilen, vgl. KR-Etzel, 5. Aufl., KSchG § 1 Rn 413 ff.

Eine Verletzung der Pflicht des § 8 Abs. 1 BAT ist nur schwerwiegend, wenn auch der Grad der subjektiven Schuld des Angestellten hoch ist, vgl. BAG, Urteil vom 14.02.1996 – 2 AZR 274/95 –.

bb) Zweitens muss der Verdacht dringend sein.

cc) Drittens muss der Verdacht das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört haben oder zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitsverhältnisses geführt haben, vgl. KR-Fischermeier, 5. Aufl. BGB § 626 Rn 210. Dabei kann es allerdings nicht genügen, dass der Arbeitgeber erklärt, kein Vertrauen mehr in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zu haben. Der Entzug des Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers muss vielmehr auch objektiv verständlich sein, denn die Frage der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist aus der Sicht eines verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgebers zu beurteilen, vgl. KR-Fischermeier, 5. Aufl. BGB § 626 Rn 233.

c) Dass am 02.10.1998 diese Voraussetzungen vollständig vorgelegen haben, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten nicht.

aa) Der Verdacht der Beklagten, dass die Klägerin entgegen ihrer Einlassung gewusst hat, dass ihre Witzesammlung auch die genannten verletzenden Juden-, Asylanten- und Türkenwitze enthielt, mag auch objektiv dringend gewesen sein.

bb) Damit bezog sich der Verdacht aber nicht auf eine strafbare Handlung der Klägerin gegen die Beklagte. Eine Straftat nach § 130 StGB („Volksverhetzung”) richtet sich nicht gegen den Arbeitgeber, son...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?