Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schadenssachbearbeiters bei einem Versicherungsunternehmen wegen Verdachts des Arbeitszeitbetruges
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts
Leitsatz (redaktionell)
1. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, kommt "an sich" als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S. von § 626 Abs. 1 BGB in Betracht.
2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Verfehlung kann zum Ausspruch einer Kündigung genügen, wobei der Verdacht auf konkrete Tatsachen gründen und dringend sein muss. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht zutrifft.
3. Ein solcher Verdacht kann nicht damit begründet werden, dass ein Arbeitnehmer sich zu bestimmten Zeiten nicht an seinem Arbeitsplatz im Großraumbüro aufgehalten hat, sofern nicht vorgetragen wird, was der Arbeitnehmer in diesen Zeiten tatsächlich getan hat.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 01.07.2014; Aktenzeichen 18 Ca 2399/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 01.07.2014 - 18 Ca 2399/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung sowie widerklagend über eine Rückforderung wegen Gehaltsüberzahlung.
Der am 1971 geborene Kläger, verheiratet und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet, ist seit dem Juli 2001 für die Beklagte, einem Versicherungsunternehmen, als Sachbearbeiter K-Schaden in einem Großraumbüro tätig. Sein Monatsverdienst liegt bei durchschnittlich 4.500,-- € brutto. Wegen der Einzelheiten des Anstellungsvertrages vom 14.05.2001 wird auf Bl. 8 ff. d. A. verwiesen.
Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer wird über das elektronische Zeiterfassungssystem ZINA erfasst. Hiernach ziehen die Arbeitnehmer nach Betreten oder Verlassen des Dienstgebäudes eine speziell für sie codierte Karte an dem Buchungsterminal vorbei.
Auf Initiative der Führungskraft des Klägers wurden die Anwesenheitszeiten des Klägers an seinem Arbeitsplatz in der Zeit vom 11.09.2013 bis 27.09.2013 beobachtet. Der Kläger war in der Zeit vom 01.10.2013 bis 11.10.2013 in Erholungsurlaub. Am 16.10.2013 wurde er mit Abweichungen zwischen den im ZINA hinterlegten Zeiten des Kommens und Gehens und einer von der Beklagten erstellten Liste über die angeblich beobachteten Abwesenheitszeiten konfrontiert.
Am 18.10.2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat schriftlich und mündlich zur beabsichtigten außerordentlichen, vorsorglich ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung des Arbeitsverhältnisses an. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 149 ff. d. A. verwiesen. Der Betriebsrat erklärte unter dem 21.10.2013 u.a., dass er die fristlose Kündigung für unangemessen erachte, eine Abmahnung oder ggfs. ein Ausschluss des Klägers aus der flexiblen Arbeitszeit sei eine ausreichende Reaktion auf die Arbeitszeitverstöße.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22.10.2013 wegen Zeitbetrugs (Tat- und Verdachtskündigung) außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 01.07.2014 (Bl. 160 ff. d. A.) dem Kündigungsschutzantrag und dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, jedenfalls sei ihr Vorbingen als verspätet nach § 61 a ArbGG zurückzuweisen. Die Widerklage wegen angeblicher Überzahlung im Oktober sei ebenfalls unbegründet, denn die Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt, aus welchem Grunde von einer Überzahlung auszugehen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihr am 22.07.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.07.2014 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 21.10.2014 begründet.
Die Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht auf die angeblich unzureichende Substantiierung nicht konkret hingewiesen habe. Unter Bezugnahme und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags behauptet die Beklagte, der Betriebsratsvorsitzende sei am 18.10.2013 ergänzend mündlich über den Kündigungssachverhalt auf der Grundlage der tabellarischen Aufzeichnungen im Einzelnen informiert worden. Der Kläger habe wiederholt seinen Arbeitsplatz im Großraumbüro verlassen ohne ordnungsgemäß Pausenzeiten bzw. Gehenszeiten zu buchen, ferner habe er abends ohne plausiblen Grund mehrfach Kurz-Buchungen vorgenommen. Wegen der Einzelheiten...