Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten. Umdeutung in eine ordentliche Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Entwendet ein schwerbehinderter Auslieferungsfahrer bei einem Kunden seines Arbeitgebers eine Flasche Weinbrand, so können bei der Frage, ob die außerordentliche oder nur die ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, zu seinen Gunsten eine 26jährige unbelastete Betriebszugehörigkeit und der Umstand berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer aufgrund eines Anfallsleidens und einer Minderbegabung die Kündigungsfrist zur psychischen und sozialen Umstellung auf den Verlust des Arbeitsplatzes benötigt. Eine Umdeutung der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung ist nicht möglich, wenn für die ordentliche Kündigung die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht vorliegt. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung reicht nicht aus.
Normenkette
BGB § 626; SchwbG §§ 15, 21
Verfahrensgang
ArbG Köln (Teilurteil vom 30.10.1997; Aktenzeichen 13 Ca 3831/97) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.10.1997 verkündete Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 13 Ca 3831/97 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Streitwert: 11.900,– DM.
Tatbestand
Der Kläger ist am 01.01.1950 geboren. Er war seit dem 01.08.1969 bei der Beklagten, die mit etwa 50 Arbeitnehmern einen Getränkegroßhandel betreibt, als Beifahrer zu einem Stundenlohn von 14,– DM brutto beschäftigt. Der Kläger ist zu 80 % schwerbehindert. Er leidet unter einem hirnorganischen Anfallsleiden, das auch mit Medikamenten nicht vollständig unter Kontrolle zu bringen ist. Darüber hinaus leidet er unter einer Minderbegabung, aufgrund derer er weder lesen noch schreiben kann. Ende 1995 hatte er eine Freundin, die für ihn, wie er unwidersprochen vorgetragen hat, die erste intensive partnerschaftliche Beziehung darstellte. Diese Freundin litt unter einer krankhaften Alkoholabhängigkeit; in der Zwischenzeit ist sie an ihrer Alkoholkrankheit gestorben.
Am 09.11.1995 stahl der Kläger eine Flasche Weinbrand der Marke „M” im Geschäft eines Kunden der Beklagten. Dabei wurde er beobachtet und zur Rede gestellt. Er gab seine Tat zu. Bei dem Kunden handelt es sich um die Firma P, die im Großraum K 120 Filialen betreibt. Diese Filialen beliefert die Beklagte, die dabei einen Umsatz von 15,5 Mio. DM im Jahr – etwa 20 % ihres Gesamtumsatzes – erzielt.
Die Beklagte leitete am 23.11.1995 das Verfahren zur außerordentlichen Kündigung bei der Hauptfürsorgestelle ein. Mit Bescheid vom 07.12.1995 wurde die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses erteilt. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 01.04.1997 zurückgewiesen. Gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung wendet der Kläger sich mit einer Klage, die unter dem Aktenzeichen 21 K 2957/97 bei dem Verwaltungsgericht Köln anhängig ist. Am 08.12.1995 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Mit seiner Klage, die am 22.12.1995 bei dem Arbeitsgericht einging, wendet er sich gegen die Kündigung.
Er bezieht sich zunächst auf ein ärztliches Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 18.06.1996. In der ärztlichen Bescheinigung ist u.a. ausgeführt:
„Es kommt immer wieder zu hirnorganischen Anfällen trotz optimaler medikamentöser Versorgung.
Aufgrund des Anfallsleidens darf Herr G. vom nervenärztlichen Gebiet keinerlei Alkohol zu sich nehmen, da dies zu einer Anfallsprovokation führen würde, dies wurde von Herrn G. verstanden, akzeptiert und auch nach fremdanamnestischen Angaben glaubhaft seit mehreren Jahren durchgehalten.
Der vorgetragene Diebstahl einer Flasche Whisky ist somit nicht bei Herrn G. durch einen Suchtdruck bedingt, es ist von Seiten des nervenärztlichen Fachgebietes wahrscheinlich, daß bei seiner eingeschränkten Reaktionsfähigkeit hier die sozial medizinischen Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber zu einer Kurzschlußreaktion geführt haben, die situativ und belastungsbedingt ist, so daß auch nach Klärung der Situation erwartet werden kann, daß ähnliche Reaktionen nicht weiter vorkommen.
Von Seiten des nervenärztlichen Fachgebietes möchte ich darauf hinweisen, daß die Entlassung von Herrn G. aus seinem bisherigen dienstlichen Umfeld zu einer Katastrophe führen würde, da für ihn keinerlei Kompensationsmöglichkeiten in Beschäftigung usw. bestünden.”
Der Kläger hat behauptet, er habe am 09.11.1995 eine Kurzschlußhandlung begangen. Sein einziges Ziel sei gewesen, seiner Freundin in ihrer Alkoholnot mit einer Flasche beizustehen. Wegen dieser Alkoholkrankheit habe er auch kein Geld mehr gehabt. Außerdem sei er damals nicht in der Lage gewesen, das von ihm begangene Unrecht zu erkennen. Das habe zunächst an dem Druck gelegen, dem er wegen der Krankheit seiner Freundin ausgesetzt gewesen sei, aber auch daran, daß er zur fraglichen Zeit nicht richtig medikamentiert gewesen sei. Eine vergleichbare Tat geschehe ganz sicher nicht noch einmal.
Der Kläger hat u.a. beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeit...