Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist von tariflich unkündbaren Mitarbeitern. Schließung dezentraler Stationen keine vollständige Betriebsschließung. Corona kein Grund für geringere Anforderungen an Darlegungslast für eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Betriebsinternes Konzern-Clearing-Verfahren kein Ersatz für Nachweis der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung von tariflich unkündbaren Mitarbeiterinnen (Bodenpersonal einer großen Fluggesellschaft); Masseverfahren; strenge Anforderungen an den Kündigungsgrund (vgl. dazu BAG 27.062019 - 2 AZR 50/19 -; 26.03.2015 - 2 AZR 783/13 -; 23.01.2014 - 2 AZR 372/13 -; 20.6.2013 - 2 AZR 379/12 -; 24.01.013 - 2 AZR 453/11 -; 10.05.2007 - 2 AZR 626/05 -).

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 111; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 15.04.2021; Aktenzeichen 8 Ca 6719/20)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.04.2021 - 8 Ca 6719/20 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufung nur noch über die Wirksamkeit einer auf betriebliche Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.

Die beklagte Partei ist die Konzernobergesellschaft der L -Gruppe. Sie betreibt ein Luftfahrtunternehmen mit operativem Sitz in F , Drehkreuzen in F und M (sogenannte HUBs) sowie acht dezentralen Stationen in B -T , Br , H , Ha , D , K , N und S . Sie unterhält neben dem Flugbetrieb die Bodenbetriebe an den HUBs sowie den dezentralen Stationen. An den Standorten B , Br , D , S und H bestehen neben den jeweiligen dezentralen Stationen auch so genannte Stadtbüros.

Die am 1963 geborene Klägerin ist seit dem 1.7.1985 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt in der dezentralen Station in K als Professional Service 1 zu einer Bruttomonatsvergütung von 1.580,- €.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden unter anderem der Manteltarifvertrag Nr. 14 vom 1.10.2005 (im Folgenden: MTV, Anlage B1), der Tarifvertrag Schutz Boden vom 18.4.1980 in der Fassung vom 1.10.1995 (im Folgenden: TV-S Boden, Anlage B2), die Konzernbetriebsvereinbarung Interessenausgleich und Sozialplan vom 20.11.1992 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 1.1.2001 (im Folgenden: KBVB IA SP, Anlage B4), die Betriebsvereinbarung Konzern-Vermittlungsprozess (Clearingverfahren) vom 27.9.2012 (im Folgenden: KBVB Clearing, Anlage B5) und die Betriebsvereinbarung für Bodenmitarbeiter betreffend Soziale Auswahlrichtlinien vom 20.11.1992 (im Folgenden: BV Soziale Auswahlrichtlinien, Anlage B6) Anwendung. Gemäß § 41 Abs. 3 MTV ist das Arbeitsverhältnis der klagenden Partei aufgrund ihrer über 15-jährigen Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar.

In der dezentralen Station K beschäftigte die beklagte Partei regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Es ist ein Betriebsrat gewählt.

Die beklagte Partei führte in der dezentralen Station in K bislang flugvorbereitende Abfertigungstätigkeiten aus. Das sind Aufgaben im Zusammenhang mit Check in, Gate, Lounge, Surveillance, Duty Management sowie PDI (Personaldisposition).

Die beklagte Partei traf im Jahr 2015 die unternehmerische Entscheidung, alle acht dezentralen Stationen und damit auch die Station in K zum 31.5.2021 zu schließen. Sie schloss deshalb mit dem in K gewählten Betriebsrat unter dem 19.10.2015 einen Interessenausgleich sowie einen Sozialplan.

Die klagende Partei ist bereit, an den HUB F zu wechseln, hospitierte dort bereits und wird dort - im Rahmen einer Prozessbeschäftigung nach obsiegendem erstinstanzlichen Urteil -zu ansonsten unveränderten Arbeitsbedingungen Professional Service 1 beschäftigt.

Die Beklagte leitete das Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG bei dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am 10.9.20 ein. Der Gesamtbetriebsrat gab dazu am 24.9.2020 seine abschließende Stellungnahme ab. Daraufhin erstattete die Beklagte Massenentlassungsanzeigen für die 8 davon betroffenen dezentralen Stationen bei den zuständigen Arbeitsagenturen. Auf die von der Beklagten vorgelegten Massenentlassungsanzeigen wird verwiesen.

Zum 1.6.2020 eröffnete die beklagte Partei das im Sozialplan vom 19.10.2015 vorgesehene so genannte Clearing-Verfahren. Dabei wurden freie Stellen vor Ausschreibung der Lokalen Vermittlungsstelle zur Verfügung gestellt. Sodann prüfte die Lokale Vermittlungsstelle die Stelle auf Besetzbarkeit mit einem Mitarbeiter im Clearing nach der KBVB Clearing. Sie prüfte die eingehenden Stellenangebote unter Abgleich des Profils des einzelnen Mitarbeiters mit dem Anforderungsprofil der Stellenbeschreibung. Der letzte Schritt des Clearing-Verfahrens, das sogenannte notarielle Clearing, wurde am 27.8.2020 eröffnet und am 10.9.2020 geschlossen. Die klagende Partei wurde im Rahmen des Clearing-Verfahrens für keine Position als geeignet eingestuft.

Mit Schreiben vo...

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