Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Tätlichkeiten gegenüber Arbeitskollegen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen bedarf es vor Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich keiner Abmahnung (BAG, Urteil vom 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06).
2. Einzelfallentscheidung (Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung aufgrund einer Tätlichkeit gegenüber einem Kollegen ohne vorangegangene Abmahnung bejaht)
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 02.02.2017; Aktenzeichen 2 Ca 1278/16) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil desArbeitsgerichts Siegburg vom 02.02.2017- 2 Ca 1278/16 - wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der am 01.06.1958 geborene Kläger ist verheiratet und gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Auf seinen Antrag vom 25.04.2016 ist mit Bescheid vom 11.08.2016 (Blatt 58 bis 60 der Akte) bei ihm ein GdB von 60 mit Wirkung ab dem 25.04.2016 festgestellt.
Der Kläger ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 09.04.1979 als Arbeiter mit einem monatlichen Bruttoverdienst von etwa 2.150,00 EUR tätig. Zuletzt war der Kläger in der Abteilung mechanische Werkstatt "nach näherer Anweisung der Bereichsleitung" eingesetzt. Ebenfalls eingesetzt in der mechanischen Werkstatt ist der Zeuge D . Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Zeuge D gegenüber dem Kläger weisungsbefugt ist.
Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.
Am 21.04.2016 reinigte der Kläger morgens nach Anweisung Wannen. Er begann mit der 15minütigen Frühstückspause nicht - wie in der Abteilung allgemein vorgesehen - um 9.15 Uhr, sondern um 9.20 Uhr. Um 9.30 Uhr forderte der Zeuge D den Kläger auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, da die Pause beendet sei. Es kam zu einem streitigen Wortwechsel zwischen dem Kläger und dem Zeugen D . In diesem vertrat der Kläger die Auffassung, dass seine Pause noch nicht beendet sei, weil er diese - arbeitsbedingt - später begonnen habe. Der Zeuge D vertrat die Auffassung, dass der Kläger nicht eigenmächtig die festgelegten Pausenzeiten abändern könne. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge D suchten im Anschluss an die Auseinandersetzung den Produktionsleiter Herrn H auf und schilderten ihm den Vorfall.
Danach nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf und verrichtete Tätigkeiten im so genannten Ofenraum. Dort kam es gegen 10.15 Uhr zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Zeugen D . Die Einzelheiten sind streitig, insbesondere, ob der Kläger im Rahmen der Auseinandersetzung den Zeugen D tätlich angegriffen hat.
Kurz nach der Auseinandersetzung fand ein Gespräch im Büro des Zeugen T statt, an dem der Kläger, der Zeuge D , der Produktionsleiter Herr H und der Zeuge T als Übersetzer teilnahmen. Einen schriftlichen Vermerk über dieses Gespräch gibt es nicht.
Im Verlauf des 21.04.2016 fanden zwei weitere Gespräche statt, über die jeweils ein Vermerk erstellt wurde. In der Aktennotiz über das Gespräch zwischen dem Zeugen D , dem Produktionsleiter Herrn H und der Leiterin des Personalwesens Frau B (Blatt 31 der Akte) heißt es auszugsweise wie folgt:
"(...) Herr D teilte mit, dass Herr Ö ihn gewürgt und geschubst habe. (...) Nach den Gesprächen suchte Herr Derr Herrn Ö im Ofenraum auf, ein Wort gab das andere. Herr Ö griff Herrn D an den Hals und schubste ihn in Richtung Werkbank. Dort befanden sich diverse Werkzeuge wie Hammer, Messer etc. Herr D sah, dass Herr Ö nach dem Hammer greifen wollte. Herr D hatte Angst und wollte nur noch aus dem Raum. Er konnte diesen durch den Seiteneingang verlassen."
In der Aktennotiz über das Gespräch zwischen dem Kläger, dem Betriebsratsmitglied Herrn K , dem Produktionsleiter Herrn H , der Leiterin des Personalwesens Frau B und dem Zeugen T (Blatt 30 der Akte) heißt es auszugweise wie folgt:
"(...) Gegen 10.15 Uhr betrat Herr D den Raum und meinte, ob er ein Problem hätte, er wäre sein Vorgesetzter und nicht Herr H . Wenn er Auskünfte bräuchte, sollte er damit zu ihm kommen. Die Auseinandersetzung war nur verbal laut Herrn Ö . (...)"
Der Zeuge D suchte am 21.04.2016 um 12.23 Uhr die H Klinik in S und danach den Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. med. Br auf. In dem durch die Assistenzärztin für Unfallchirurgie in der H Klinik ausgestellten ärztlichen Bericht (Blatt 26 und 27 der Akte) heißt es auszugsweise wie folgt:
"(...)Diagnosen
S10.98 Sonstige oberflächliche Verletzung des Halses
S10.0 Prellung des Rachens
(...)
Befund: Pat. Wach, zu allen Qualitäten orientiert, Erytheme lateraler Hals bds mit sichtbaren Fingerabdrücken, keine Stimmveränderung, keine tastbare Stufe am Kehlkopfbereich, DS über Kehlkopf und Berührungsschmerz über Erythemen, leichte Schluckbeschwerden, keine Dyspnoe, vermehrte Gefäßzeichnung Rachen, keine Ödeme (...)"
In der fachärztlichen Beschein...