Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Karenzentschädigung. Keine Anrechnung anderweitigen Erwerbs bei Bezug von Krankengeld. Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zum Anspruch auf Karenzentschädigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Anspruch des Arbeitnehmers aus einem Wettbewerbsverbot gem. § 74 HGB auf Karenzentschädigung setzt allein voraus, dass der Arbeitnehmer den ihm verbotenen Wettbewerb unterlässt. Darauf, ob es dem Arbeitnehmer tatsächlich möglich ist, Wettbewerb auszuüben oder nicht, kommt es nicht an.
2. Die Vorschrift des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB sieht eine Anrechnung auf die Karenzentschädigung vor, wenn der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft Einkünfte erzielt oder erzielen könnte. Bezieht der Arbeitnehmer Krankengeld, ist dieses nicht anrechenbar.
3. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und dient - wie die Verjährung - dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.
Normenkette
GewO § 110; HGB § 74b Abs. 2, § 74c Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 75a; BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 615 S. 2; KSchG § 11
Verfahrensgang
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 16.06.2021; Aktenzeichen 3 Ca 2451/20) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 16.06.2021 - 3 Ca 2451/21 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung.
Die Klägerin war bei der Beklagten auf der Grundlage des "Mitarbeitervertrages" vom 19.10.2015 im Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2017 zu einem monatlichen Bruttoentgelt i.H.v. 4.000 € als angestellte Rechtsanwältin beschäftigt. Aufgrund der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die Klägerin für den Zeitraum ab dem 28.04.2017 zahlte die Beklagte an die Klägerin Entgeltfortzahlung. Ab dem 09.06.2017 erhielt die Klägerin Krankengeld. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten vom 19.06.2017.
Der Mitarbeitervertrag enthielt folgende Vereinbarungen:
"§ 11 Nebentätigkeit
Der Arbeitgeber gestattet der Arbeitnehmerin, aus vorangegangener freiberuflicher Tätigkeit bei anderen Rechtsanwälten eventuell noch bestehende Mandate abzuwickeln, soweit die vertraglich vereinbarte Tätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Ab Vertragsbeginn bedürfen die Übernahme neuer freiberuflicher Mandate und anderweitiger Nebentätigkeiten der jeweiligen Einwilligung des Arbeitgebers. ...
§ 12 Mandantenschutz
Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis keine Tätigkeit - sei es freiberuflich oder als Angestellter eines anderen Berufsangehörigen - für solche Auftraggeber auszuüben, welche innerhalb der letzten drei Jahre vor ihrem Ausscheiden zur Mandantschaft des Arbeitgebers gehört haben.
Während der Dauer des Wettbewerbsverbotes erhält die Arbeitnehmerin eine Karenzentschädigung, die für jedes Jahr des Verbotes die Hälfte der von der Arbeitnehmerin zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen beträgt.
..."
Vom 01.10.2017 bis zum 30.09.2019 übte die Klägerin entsprechend der arbeitsvertraglichen Vereinbarung keinerlei Tätigkeit für Auftraggeber aus, die innerhalb der letzten drei Jahre vor ihrem Ausscheiden zur Mandantschaft der Beklagten gehörten.
Im Oktober 2017 bezog die Klägerin Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 70,77 € brutto. Im November 2017 erhielt sie vom 01. bis zum 12.11.2017 insgesamt 849,24 € Krankengeld sowie vom 13. bis zum 30.11.2017 Vergütung i.H.v. 2.520,00 € brutto und hatte somit Einkünfte i.H.v. 3.369,24 €. Im Dezember 2017 erhielt sie Vergütung i.H.v. 4.240,00 €, im Januar und Februar 2018 jeweils Vergütung i.H.v. 4.200,00 €, im März 2018 eine Vergütung oberhalb von 4.400,00 € brutto. Im April 2018 erhielt die Klägerin für den Zeitraum vom 01. bis zum 11.04.2018 Vergütung i.H.v. 2.539,13 € brutto sowie für den Zeitraum vom 12. bis zum 30.04.2018 wiederum Krankengeld i.H.v. 76,52 € täglich, mithin insgesamt 1.453,88 € und somit insgesamt im April 2018 3.993,01 €. In den Monaten Mai bis Juli 2018 bezog sie Krankengeld i.H.v. 76,52 € täglich, mithin 2.295,60 € monatlich, in den Monaten August bis November 2018 hingegen eine Vergütung oberhalb von 4.400,00 € brutto. Im Zeitraum von Dezember 2018 bis September 2019 erhielt die Klägerin jeweils monatlich 2.139,90 € Krankengeld. Die Klägerin hat diesbezüglich Bescheinigungen der Krankenkasse sowie Gehaltsabrechnungen vorgelegt.
Zudem übte die Klägerin in geringem Umfang bereits vor Beginn des Arbeitsverhältnisses bis auch über den Karenzzeitraum hinaus eine freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin aus. Die von der Klägerin aufgrund des Auskunftsverlangens der Beklagten vorgelegten Einkommenssteuerbescheide - nebst der jew...