Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachvertragliches verbindliches Wettbewerbsverbot. Anrechnungsmethodik bei anderweitigem Verdienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn sich der Prinzipal/Arbeitgeber verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der vom Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen, vertragsgemäßen Leistungen erreicht.
2. Der Arbeitnehmer muss sich bei einem bestehenden Wettbewerbsverbot eine anderweitige Vergütung in bestimmter Höhe anrechnen lassen (§ 74c HGB). Vorbehaltlich anderer Parteivereinbarungen beschränkt sich die Anrechnung auf die in § 74c HGB festgesetzte Höchstgrenze.
Normenkette
HGB § 74 Abs. 2, §§ 74c, 75d
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 20.08.2019; Aktenzeichen 3 Ca 859/19) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 20.08.2019, Az. 3 Ca 859/19, abgeändert und
die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 26.589,27 € brutto zuzüglich Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2019 zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.
Die Klägerin war vom 01.03.2014 bis zum 15.04.2018 bei der Beklagten als angestellte Zahnärztin beschäftigt. Ab dem 19.10.2015 erbrachte die Klägerin für die Beklagte keine Arbeitsleistung mehr. Sie bezog zumindest von Januar 2017 bis März 2018 Mutterschutzvergütung iHv. 5.446,86 € brutto monatlich.
Der Arbeitsvertrag vom 27.11.2013 enthält u.a. folgende Regelungen:
"§ 9 Vergütung
Das monatliche Bruttogehalt beträgt zur Zeit der Einstellung 27,5 % des Honorarumsatzes, aber mindestens € 4.000,- und ist am letzten Werktag jeden Monats fällig. ...
§ 15 Konkurrenzschutz
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses innerhalb von 2 Jahren in einem Umkreis von 3 km von der Praxis des Arbeitgebers keine zahnärztliche Tätigkeit in eigener Praxis aufzunehmen. Im Fall der Zuwiderhandlung wird eine Vertragsstrafe von € ../.. fällig. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, für die Dauer des Verbots jährlich eine Entschädigung zu zahlen in Höhe der Hälfte der vom Arbeitnehmer zuletzt bezogenen Vergütung, wobei darauf angerechnet wird, was der Arbeitnehmer durch Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt."
In der Freifläche des § 15 Satz 3 des Arbeitsvertrages befindet sich nach dem €-Zeichen ein handschriftlich eingetragener schräger Strich.
Die Parteien schlossen unter dem 29.01.2018 eine Aufhebungsvereinbarung mit folgendem auszugsweisen Inhalt:
"Die Parteien heben dieses Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Wirkung zum Ablauf des 15.04.2018 auf.
Der Arbeitgeber wird das laufende Gehalt für diese Zeit bis zum 15.04.2018 ordnungsgemäß abrechnen und auszahlen.
Als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt der Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin zusammen mit der Abrechnung für den Monat April einen Betrag in Höhe von 10.338,50 Euro brutto.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass Frau D. den gesamten ihr bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses zustehenden Urlaub gewährt erhalten und genommen hat.
Frau D. erklärt, dass sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt, ihr Kind weiter zu stillen. Eine Stillbescheinigung für den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses wird sie dem Arbeitgeber zeitnah unaufgefordert zur Verfügung stellen. Frau D. wird ihre Arbeitskraft bis zum 15.04.2018 nicht mehr anbieten.
Der Arbeitgeber wird der Arbeitnehmerin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis mit der Note "sehr gut" erteilen.
G. G./L., den 29. Januar 2018"
Seit April 2018 arbeitet die Klägerin als angestellte Zahnärztin in einer L. Zahnarztpraxis, die mehr als 3 km von der Praxis der Beklagten entfernt ist. In dieser Zahnarztpraxis bezog die Klägerin folgende Bruttomonatsgehälter:
April 2018 |
2.000,00 € |
Mai 2018 |
4.860,06 € |
Juni 2018 |
5.044,13 € |
Juli 2018 |
5.931,39 € |
August 2018 |
4.041,47 € |
September 2018 |
5.083,43 € |
Oktober 2018 |
6.429,33 € |
November 2018 |
6.358,45 € |
Dezember 2018 |
5.063,21 € |
Januar bis Juli 2019 |
5.063,21 € jeweils |
Die Klägerin beanspruchte gegenüber der Beklagten erfolglos Karenzentschädigung.
Die Klägerin hat gemeint,
dass § 15 des Arbeitsvertrages eine wirksame Konkurrenzschutzklausel enthalte. Die handschriftliche Streichung beziehe sich auf die Höhe der Vertragsstrafe. Durch Abschluss der Aufhebungsvereinbarung hätten sie das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht einvernehmlich aufgehoben. Die vertragliche Anrechnungsklausel anderweitigen Verdienstes in § 15 Satz 3 des Arbeitsvertrages verstoße gegen § 74c HGB und sei mithin gemäß § 75d HGB i.V.m. § 74c HGB unwirksam. Konsequenz der Unwirksamkeit des Anrechnungsverbotes...