Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte ordentliche Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens. Abgestufte Darlegungs- und Beweislast bezüglich des "Verschuldens" bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Rechtfertigung einer Nebenpflichtverletzung ist der pauschale Hinweis auf eine Diagnose "Depression" nicht ausreichend.

Inhaltsangabe:

Einzelfall: Zur Substantiierungspflicht des Arbeitnehmers mit Blick auf von ihm geltend gemachte Rechtsfertigungsgründe.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist der Arbeitnehmer mindestens zweimal einschlägig abgemahnt worden und hat er erneut zwei Tage in dem Sinne unentschuldigt gefehlt, dass er sich erst verspätet beim Arbeitgeber gemeldet hat, um Bescheid zu sagen, dass er krankheitsbedingt ausfällt, hat er wiederholt und - angesichts der Abmahnungen beharrlich - gegen seine arbeitsvertragliche Pflicht aus § 5 Absatz 1 Satz 1 EFZG verstoßen.

2. Hat der Arbeitgeber alles vorgetragen, was er hat vortragen können, um seiner Darlegungslast zum Thema "Verschulden" Genüge zu tun, war es am Arbeitnehmer, sich hierzu "vollständig" einzulassen. Unterlässt er dies, kommt er seiner Darlegungslast nicht nach und wird den Kündigungsschutzprozess verlieren. Ein pauschaler Hinweis auf eine "Depression" ist keine substantiierte Darlegung.

 

Normenkette

KSchG § 1; EFZG § 5 Abs. 1 S. 1; ZPO § 138

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 18.05.2022; Aktenzeichen 3 Ca 5693/21)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.05.2022 - 3 Ca 5693/21 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Nachdem das Arbeitsgericht rechtkräftig festgestellt hat, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch eine von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung sein Ende gefunden hat, streiten die Parteien in der Berufungsinstanz nur noch um die Wirksamkeit der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Dabei geht es im Zusammenhang mit attestierten Arbeitsunfähigkeitszeiten um Anzeige- und Nachweispflichtverletzungen und bei diesen um die Frage, ob sie schuldhaft oder - zum Beispiel wegen einer Depression - schuldlos erfolgt sind.

Der Kläger wurde im Jahre 1994 geboren. Er war seit dem 01.10.2016 bei der Beklagten als Straßenreiniger beschäftigt. Zuletzt erhielt er hierfür ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.890,00 EUR.

Im April 2021 erlitt die Lebensgefährtin des Klägers eine Fehlgeburt. Das belastete den Kläger emotional. In der Folgezeit zwischen dem Monat April 2021 und dem Monat Oktober 2021 war der Kläger an gut 60 Tagen nicht am Arbeitsplatz. Er fehlte dabei häufig in dem Sinne "unentschuldigt", dass er der Beklagten nicht rechtzeitig seine Abwesenheit mitgeteilt hat. Ihm wurden in diesem Zusammenhang insgesamt fünf Abmahnungen erteilt. Zu den einzelnen Vorkommnissen wird Bezug genommen auf den ausführlichen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils und es wird sich hier nur auf die folgende stichwortartige Zusammenfassung beschränkt: Unentschuldigtes Fehlen vom 17.04.2021 bis 20.04.2021 und vom 31.05.2021 bis zum 30.06.2021; Abmahnung vom 21.06.2021 wegen unentschuldigten Fehlens mit Aufforderung bis zum 02.07.2021 mitzuteilen, ob Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe und für diesen Fall die Bescheinigung einzureichen; Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 30.06.2021 für den Zeitraum vom 01.06.2021 bis zum 26.06.2021; Abmahnung mit Schreiben vom 06.07.2021 wegen verspäteter Einreichung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung; Unentschuldigtes Fehlen vom 01.07.2021 bis zum 05.07.2021; Abmahnungen mit Schreiben vom 06.07.2021 wegen unentschuldigten Fehlens; Schreiben vom 06.07.2021, mit welchem dem Kläger aufgegeben worden ist, künftig bereits am ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorzulegen; unentschuldigtes Fehlen vom 16.08.2021 bis zum 31.08.2021; Abmahnung mit Schreiben vom 27.08.2021 wegen unentschuldigten Fehlens und Aufforderung, bis zum 07.09.2021 mitzuteilen, ob er arbeitsunfähig erkrankt sei, und für diesen Fall einen entsprechenden Nachweis vorzulegen; Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Kläger am 01.09.2021 für den Zeitraum vom 16.08.2021 bis zum 31.08.2021; Abmahnung mit Schreiben vom 23.09.2021 wegen der verspäteten Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Am 10.10.2021 und 11.10.2021 erschien der Kläger nicht zum Dienst. Erst am 12.10.2021 teilte der Kläger telefonisch mit, dass er bis auf weiteres arbeitsunfähig erkrankt sei. Am 14.10.2021 reichte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 11.10.2021 bis zum 15.10.2021 ein. Aufgrund dieses Sachverhalts hörte die Beklagte am 18.10.2021 den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. Der Betriebsrat stimmte beiden Kündigungen am 19.10.2021 zu. Mit Schreiben vom 21.10.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hil...

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