Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsurlaub. Elternzeit. betriebsbedingte Kündigung. Interessenabwägung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Streitfrage, ob bei einer betriebsbedingten Kündigung, bei der „dringende betriebliche Erfordernisse” i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG zu bejahen sind und die soziale Auswahl i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG ebenfalls nicht zu beanstanden ist, noch eine abschließende Interessenabwägung stattzufinden hat, bleibt offen.

2. Bejaht man die Frage, so kann die Interessenabwägung aber jedenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen außergewöhnlicher sozialer Härte zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen (insoweit Anschluss an BAG EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47 u. Nr. 48).

3. Ein solcher Ausnahmefall wird nicht schon durch die sozialrechtlichen Nachteile begründet, die entstehen (können), wenn eine – mit Zustimmung der zuständigen Stelle gem. § 18 Abs. 1 S. 3 BErzGG ausgesprochene – betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsstillegung zur vorzeitigen Beendigung des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit führt.

 

Normenkette

BErzGG § 18 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Siegburg (Urteil vom 24.10.2002; Aktenzeichen 1 Ca 2830/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.01.2005; Aktenzeichen 2 AZR 500/03)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 24.10.2002 in Sachen 1 Ca 2830/02 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer mit Zustimmung der zuständigen Behörde während der Elternzeit der Klägerin ausgesprochenen arbeitgeberseitigen betriebsbedingten Kündigung.

Die Beklagte, ein Unternehmen mit Stammsitz in M, unterhielt in S. eine Niederlassung, wo sie sich mit dem HAL-Heißluftverzinnen und dem LSL-Lötstopplackbeschichten von Leiterplatten befasste. In S. beschäftigte die Beklagte 11 Arbeitnehmer/-innen. In einer weiteren Betriebsstätte in B. bei C. in Sachsen erbringt die Beklagte mit Hilfe CNC-gesteuerter Maschine andersartige Dienstleistungen. In M. selbst betreibt die Beklagte keine Produktion.

Die Klägerin war seit dem 01.04.1992 in der Niederlassung S. der Beklagten als angelernte Arbeiterin beschäftigt. Sie erzielte ein Bruttomonatseinkommen in Höhe von 3.400,– DM. Nach der Geburt eines Kindes am 13.06.2000 befand sich die Klägerin in Elternzeit, welche bis zum 13.06.2003 andauern sollte.

Am 08.11.2001 beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten, die Betriebsstätte S. zum 31.12.2001 ersatzlos stillzulegen. Alle in S. beschäftigten Arbeitnehmer/-innen erhielten daraufhin entsprechende betriebsbedingte Kündigungen. Am 21.12.2001 beantragte die Beklagte bei der Bezirksregierung K. die nach § 18 Abs. 1 BErzGG notwendige Zustimmung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung auch der Klägerin. Mit Bescheid vom 28.05.2002, auf dessen vollständigen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 23 – 28 d. A.), erklärte die Bezirksregierung K. die gegenüber der Klägerin auszusprechende Kündigung „bei tatsächlicher und dauerhafter Betriebsstillegung und soweit kein Ersatzarbeitsplatz im Unternehmen zur Verfügung steht”, für zulässig. Mit Schreiben vom 10.06.2002 sprach die Beklagte daraufhin gegenüber der Klägerin die betriebsbedingte Kündigung zum 31.12.2002 aus. Hiergegen richtet sich die vorliegende, am 02.07.2002 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangene Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Rechtswirksamkeit der von der Bezirksregierung erteilten Zustimmung zur streitigen Kündigung bezweifelt: Nach Auffassung der Klägerin habe die Bezirksregierung ihre Zustimmung lediglich unter einer Auflage, bzw. Bedingung erteilt, was nicht zulässig sei, da sie abschließend darüber zu entscheiden habe, ob ein besonderer Fall im Sinne des § 18 BErzGG vorliege. Außerdem hat die Klägerin bemängelt, dass ihr für die Zeit nach Ablauf der Elternzeit nicht ein Alternativarbeitsplatz in der Betriebsstätte B. angeboten worden sei. Jedenfalls habe die Beklagte ihr eine soziale Auslauffrist bis zum Ablauf der Elternzeit am 13.06.2003 gewähren müssen, da die vorzeitige Beendigung der Elternzeit für sie eine unbillige Härte darstelle.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.06.2002 nicht aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Betriebsstätte S. endgültig und ersatzlos stillgelegt worden sei. Die dort verrichteten Tätigkeiten würden an keinem anderen Standort erbracht. In der Betriebsstätte B. würden keine Arbeiten verrichtet, die mit denjenigen in S. vergleichbar seien. In B. würden den dortigen Anforderungen entsprechend nur CNC-Techniker eingesetzt. Auch sei zu bezweifeln, dass die Klägerin für eine einfache Tätigkeit als angelernte Mitarbeiterin mit ihrer Familie nach B. in Sachsen umzuziehen bereit gewesen wäre. Die Kündigung sei von der Bezirksregierung auch ordnungsgemäß für zulässig erklärt worden. Insbesondere sei der Bescheid der...

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