Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzbetriebsratsmitglied. Sonderkündigungsschutz. Bestreiten mit Nichtwissen. Berufungsbegründu Hinweispflicht. Betriebsratsanhörung. Sozialauswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Ohne Verstoß gegen ihre Wahrheitspflicht darf eine Partei die Behauptung der Gegenpartei nur bestreiten, wenn ihr subjektiver Wissensstand darauf schließen lässt, die Behauptung sei unwahr.
2. Mit Nichtwissen darf sich eine Partei nur dann erklären, wenn sie zu der behaupteten Tatsache aus eigener oder in ihrem Geschäfts- und Verantwortungsbereich gewinnbarer Erkenntnis nichts erklären kann. Die Partei darf sich weder „blind stellen” noch „mauern.”
3. Der Sonderkündigungsschutz eines Ersatzbetriebsratsmitglieds entfällt nicht schon dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass ein Vertretungsfall in Wahrheit nicht vorgelegen hat. Ausgeschlossen ist der Schutz vielmehr nur, wenn der Vertretungsfall durch kollusive Absprachen zum Schein herbeigeführt wird oder das Ersatzmitglied weiß oder sich ihm aufdrängen muss, dass kein Vertretungsfall vorliegt.
4. Hat das Arbeitsgericht eine Kündigung wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung für unswirksam erklärt und dabei in seiner Begründung eine Fülle weiterer Angriffe des Arbeitnehmers gegen die Kündigung dahingestellt sein lassen, so genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber sich in der Berufungsbegründung nur mit der Thematik der Betriebsratsanhörung befasst. Er hat vielmehr, auch bezogen auf die anderen Angriffsmittel des Arbeitnehmers, alles vorzubringen, was erforderlich ist, um die Kündigung insgesamt rechtswirksam erscheinen zu lassen.
5. Die prozessuale Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts dient nicht dazu, die Versäumnisse in der Prozessführung einer Partei zu Lasten der anderen Partei zu kompensieren.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3, § 15; ArbGG §§ 61a, 67; ZPO §§ 138, 282; BetrVG §§ 102, 105
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 05.11.2003; Aktenzeichen 10 Ca 5652/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2003 in Sachen 10 Ca 5652/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und davon abhängige Zahlungsansprüche.
Der am geborene Kläger ist auf Grund eines Anstellungsvertrages vom 31.05.2001 (Bl. 4 – 9 d. A.) seit dem 01.07.2001 bei der Beklagten als „Verkaufsberater Multimedia für den Großraum Nordrhein Westfalen” tätig.
Er verdiente zuletzt 3.795,28 EUR brutto monatlich.
Im Zeitpunkt der Einstellung des Klägers erstreckten sich die geschäftlichen Aktivitäten der Beklagten insbesondere auf die Bereiche Kabelfernsehen, Internettelefonie und HighSpeedInternetAnschlüsse. Die arbeitsvertragliche Aufgabe des Klägers besteht darin, als „klassischer Haustürvertreter” die von der Beklagten angebotenen Produkte Kunden gegenüber vorzustellen und mit diesen entsprechende Nutzungsverträge abzuschließen. Nachdem die Beklagte im Jahre 2000 das Kabelnetz in N W übernommen hatte, war ihre Mitarbeiterzahl nach eigenem Bekunden zwischen Juli 2000 und März 2002 von ursprünglich 650 auf ca. 2400 angestiegen. In der Folgezeit reduzierte die Beklagte wegen wirtschaftlicher Probleme ihr Personal wiederum in mehreren Entlassungswellen.
Bei der Betriebsratswahl im Frühjahr 2002 kandidierte der Kläger auf Platz 32 der Liste der Gewerkschaft Ver.di. Nach dem Wahlergebnis entfielen von den 19 Betriebsratsplätzen 17 auf die Liste Ver.di sowie zwei Plätze auf die mit drei Kandidaten angetretene Liste der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation.
Am 02.10.2002 sprach die Beklagte dem Kläger erstmals eine Kündigung aus. Nachdem der Kläger in der daraufhin erhobenen Kündigungsschutzklage angeführt hatte, dass er Anfang September 2002 als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung teilgenommen habe, erklärte sich die Beklagtevergleichsweise bereit, aus der Kündigung vom 02.10.2002 keine Rechte mehr herzuleiten.
In einer Betriebsvereinbarung vom 18.12.2002 über die Mitbestimmung bei Einstellungen und Kündigungen vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat, dass betriebsbedingte Kündigungen gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Von dem Zustimmungserfordernis ausgenommen sind jedoch betriebsbedingte Kündigungen, „die durch einen Interessenausgleich/Sozialplan geregelt” werden.
Mit Schreiben vom 17.04.2003 hörte die Beklagte den Betriebsrat „zu beabsichtigten Kündigungen gemäß § 102 Abs. 1BetrVG” an. Auf den Inhalt des dreiseitigen Anhörungsschreibens und der zweiseitigen „weiteren Erläuterungen zu den am 17.04.2003 dem Betriebsrat vorgelegten Sozialplanlisten” wird Bezug genommen (Bl. 72 – 76 d. A.). Die in dem Schreiben in Bezug genommenen Listen selbst hat die Beklagte nicht vorgelegt.
Mit Schreiben vom 24.04.2003 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Klägers. Auch auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens (Bl. 13 f. d. A.) wird Bezug genommen.
Am 25.04.2003 u...