Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufung. Anforderungen an die Berufungsbegründung. Anforderungen an eine Klageerweiterung [Nachholung]. Fristbeginn iS des § 5 Abs. 2 S. 1 KSchG
Leitsatz (amtlich)
1.) Stützt das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf mehrere, je für sich selbständig tragende Begründungen, muss sich die Berufungsbegründung mit jeder einzelnen dieser Begründungen auseinandersetzen. Geschieht dies nicht, ist das Rechtsmittel unzulässig (std. Rspr.).
2.) Eine Anfrage des Prozessbevollmächtigten an das Gericht, ob und ggf. wann ein bestimmter, früher von ihm gefertigter Klageerweiterungsschriftsatz bei Gericht eingegangen ist, kann auch dann nicht selbst als nachgeholte Klageerweiterung i. S. v. § 5 Abs. 2 S. 1 KSchG angesehen werden, wenn der Anfrage eine nicht unterschriebene Kopie des früheren Schriftsatzes beigefügt war. Dies gilt erst recht, wenn in einem später gestellten Antrag auf nachträgliche Zulassung hierauf nicht Bezug genommen wird, vgl. § 5 Abs. 2 S. 1, letzter Halbs. KSchG.
3.) Die Zwei-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG beginnt nicht erst mit positiver Kenntnis von der Versäumung der Klagefrist zu laufen, sondern bereits dann, wenn der Arbeitnehmer oder sein Anwalt aufgrund konkreter Anhaltspunkte bei gehöriger Sorgfalt erkennen muss, dass die Klagefrist möglicherweise versäumt ist.
Normenkette
KSchG § 5 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 02.08.2011; Aktenzeichen 6 Ca 769/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.08.2011 in Sachen
6 Ca 769/11 wird zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen eines vom Arbeitsgericht auf der Grundlage des § 5 Abs. 4 S. 2 ArbGG angeordneten Zwischenverfahrens über die nachträgliche Zulassung einer erst nach Ablauf der in § 4 S. 1 KSchG angeordneten Drei-Wochen-Frist eingereichten Kündigungsschutzklage, die sich gegen von der Beklagten ausgesprochene Kündigungen vom 25.03.2011 und vom 30.03.2011 richtet.
Wegen des bisherigen Sach- und Streitstandes in erster Instanz und wegen der Gründe, die die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, den Antrag des Klägers auf nachträgliche Zulassung seiner gegen die Kündigungen vom 25.03. und 30.03.2011 gerichteten Kündigungsschutzklage zurückzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Zwischenurteils vom 02.08.2011 Bezug genommen.
Das arbeitsgerichtliche Zwischenurteil wurde dem Kläger am 05.08.2011 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 02.09.2011 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.11.2011 am 07.11.2011 begründet.
Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe seinen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu Unrecht für unzulässig gehalten. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts sei dem Erfordernis des § 5 Abs. 2 S. 1 KSchG genüge getan. Es müsse hierfür ausreichen, dass der anwaltliche Schriftsatz, dem die Klageerweiterung vom 01.04.2011 beigefügt gewesen sei, vom Prozessbevollmächtigten auch unterschrieben war. Insoweit habe eine ordnungsgemäße Klageerhebung vorgelegen.
Weiter führt der Kläger an, dass er den Antrag auf nachträgliche Zulassung auch rechtzeitig innerhalb der Frist des § 5 Abs.3 S.1 KSchG gestellt habe. Die Rechtsprechung, die darauf abstelle, dass sich ein Kläger zeitnah nach dem Verbleib einer von ihm eingereichten Klage zu erkundigen habe, betreffe die "Erstklage". Wenn bei einer solchen nicht innerhalb einer Frist von 8 bis 10 Werktagen nach dem zu vermutenden Eingang der Klage bei Gericht eine Terminierung erfolge, bedürfe es tatsächlich einer anwaltlichen Nachfrage, ob die Klage ordnungsgemäß eingegangen ist. Hier sei es jedoch nur um eine Klageerweiterung ohne neuen Sachvortrag gegangen. Das Arbeitsgericht habe auch zügig terminiert, in der Güteverhandlung sei zunächst nur über die Ursprungsklage verhandelt worden und aus dem Gesamtzusammenhang heraus habe es keinerlei Notwendigkeit gegeben, "misstrauisch" zu werden.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.08.2011 abzuändern und festzustellen, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen vom 25.03.2011 und 30.03.2011 zulässig und begründet ist.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.08.2011, 6 Ca 769/11, kostenpflichtig zurückzuweisen und die Revision nicht zuzulassen.
Die Beklagte hält die Berufung des Klägers bereits für unzulässig, weil der Kläger sich nicht mit allen das Urteil selbstständig tragenden rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt habe.
Im Übrigen hält die Beklagte die Berufung des Klägers auch für unbegründet. Sie verteidigt insoweit die Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
I.1. Die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil des ...