Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütungspflicht des Arbeitgebers für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Erbringung von Bereitschaftszeiten ist grundsätzlich mit dem Mindestlohn zu vergütende Arbeitsleistung i.S. von § 611 Abs. 1 BGB.
2. Für Beschäftigte im Rettungsdienst mit regelmäßigen Bereitschaftszeiten gilt nicht eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden gem. § 6 Abs. 1 TVöD, sondern eine solche von 48 Stunden gem. Anhang B zu § 9 TVöD. In diesem Umfang sind Bereitschaftszeiten durch die gezahlte Vergütung abgegolten.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; TVöD § 6 Abs. 1, § 9
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.04.2015 - 1 Ca 448/15 h - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung von Bereitschaftszeiten nach dem TVöD und dem Mindestlohngesetz.
Die Beklagte betreibt den Rettungsdienst im Kreis H . Der Kläger ist seit 2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger als Rettungsassistent beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden nach dem Arbeitsvertrag der Parteien (§ 2 des Dienstvertrages vom 09.11.2011) die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD Anwendung. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt nach § 6 Abs.1 TVöD-V regelmäßig 39 Stunden wöchentlich. Für Tätigkeiten im Rettungsdienst enthält der Abschnitt B des Anhangs zu § 9 TVöD-V folgende Sonderregelung:
"B. Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst und in Leitstellen
(1) Für Beschäftigte im Rettungsdienst und in den Leitstellen, in deren Tätigkeit regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten fallen, gelten folgende besondere Regelungen zu § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD:
Die Summe aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit darf die Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 nicht überschreiten. Die Summe aus Vollarbeits- und Bereitschaftszeiten darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Bereitschaftszeiten sind die Zeiten, in denen sich die/der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Bereitschaftszeiten werden zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet (faktorisiert). Bereitschaftszeiten werden innerhalb von Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit nicht gesondert ausgewiesen.
(2) Die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit beträgt zwölf Stunden zuzüglich der gesetzlichen Pausen.
(3) Die allgemeinen Regelungen des TVöD zur Arbeitszeit bleiben im Übrigen unberührt."
§ 3 Abs.1 des Arbeitsvertrages lautet:
"Bei Beschäftigten im Rettungsdienst fallen regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an. Aus diesem Grunde wird die wöchentliche Arbeitszeit unter Anwendung der Sonderregelung im Anhang zu § 9 TVöD auf durchschnittlich 48 Stunden festgesetzt."
Der Kläger erhält ein Grundgehalt der Entgeltgruppe 5 Stufe 6 in Höhe von - im hier streitigen Zeitraum Januar und Februar 2015 - 2.680,31 EUR, zuzüglich Zulagen. Bei der Tätigkeit des Klägers fallen regelmäßig, in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an.
Der Kläger hat Zahlung von 1.237,30 EUR, jeweils 618,65 EUR für Januar und Februar 2015 begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, er erhalte sein Tabellenentgelt für 39 Wochenstunden, die sich aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit errechneten. Die darüber hinausgehenden Bereitschaftszeiten von 9 Stunden pro Woche würden nicht vergütet. Denn im Gegensatz zu den in §§ 7, 8 TVöD geregelten Sonderformen der Arbeit sei eine Vergütung der Bereitschaftszeiten gerade nicht geregelt. Die Regelungen des TVöD zur Vergütung von Bereitschaftszeiten seien auf Grund des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes am 01.01.2015 unzulässig geworden. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bereitschaftszeiten mit der regelmäßigen Vergütung entgolten sind, sei damit überholt. Bereitschaftszeiten seien - entsprechend dem Urteil des BAG vom 19.11.2014 (Az. 5 AZR 1101/12) wie (Voll-) Arbeitszeit zu vergüten. Bei Unterschreitung des Mindestlohns sei die übliche Vergütung geschuldet. Danach seien 15,86 EUR brutto pro Stunde (2.680,31 EUR für 169 Stunden pro Monat) zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.237,30 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 618,65 EUR ab dem 01.02.2015 und aus weiteren 618,65 EUR brutto ab dem 01.03.2015 zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, mit dem tariflichen Grundgehalt würden auch die Bereitschaftszeiten bis zu 48 Stunden vergütet. Selbst wenn Bereitschaftszeiten wie Vollarbeitszeit zu vergüten wäre, würde de...