Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsschutz nach der Novelle des SGB IX
Leitsatz (amtlich)
Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist auch dann erforderlich, wenn die Feststellung der Schwerbehinderung nach zunächst erfolglosem Antrag erst im Widerspruchsverfahren oder auf Klage hin rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung erfolgt. § 90 Abs. 9 a SGB IX hat auch ab 01.05.2004 nichts an der einschlägigen Rechtsprechung des BAG geändert.
Normenkette
SGB IX §§ 85, 90 Abs. 9a
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 01.12.2005; Aktenzeichen 8 Ca 6643/04) |
Tenor
1) Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 01.12.2005 – 8 Ca 6643/04 – wird zurückgewiesen.
2) Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 01.12.2005 – 8 Ca 6643/04 – teilweise abgeändert:
3) Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
4) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristgerechten arbeitgeberseitigen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.
Der am 22.09.1956 geborene Kläger ist seit 02.05.2000 beim beklagten Land beschäftigt, er ist als Techniker am Lehrstuhl für angewandte Physik der Universität K tätig. Im Jahre 2001 war er an 207 Tagen, 2002 an 228 Tagen, 2003 an 150 Tagen und 2004 bis 09.06.2004 an 43 Tagen arbeitsunfähig krank. Der Kläger ist an Hepatitis C erkrankt.
Am 16.01.2004 hatte er beim Versorgungsamt K die Feststellung der Schwerbehinderung beantragt, durch Bescheid vom 17.03.2004 wurde eine GdB von 30 zuerkannt, wogegen der Kläger am 13.04.2004 Widerspruch einlegte. Auf diesen hin erliess das Versorgungsamt Köln den Abhilfebescheid vom 09.08.2004, wonach ab 16.01.2004 eine GdB von 50 vorliegt.
In der Zwischenzeit hatte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22.06. aus krankheitsbedingten Gründen zum 30.09.2004 gekündigt. Gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung wendet der Kläger sich im vorliegenden Rechtsstreit. Er hat geltend gemacht, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß zur Kündigung beteiligt worden. Es lägen auch keine hinreichenden Kündigungsgründe vor. Zwar sei er in der Vergangenheit länger arbeitsunfähig krank gewesen, für die Zukunft eine sich daraus ergebende negative Prognose jedoch angesichts seiner gesundheitlichen Entwicklung nicht gerechtfertigt. Der Kläger rügt außerdem, die Kündigung sei unwirksam, weil sie ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden sei. Er sei nämlich bereits bei Kündigungsausspruch ein schwerbehinderter Mensch gewesen, wie durch Bescheid vom 09.08.2004 festgestellt worden sei. Auch nach Änderung des Schwerbehindertenrechtes mit Wirkung zum 01.05.2004 bedürfe es in Fällen wie dem vorliegenden der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Die in § 90 Abs. 2 a) SGB IX vorgesehene Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes, wonach dieser nicht greife, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte, greife nicht. Die Gesetzesänderung gelte nur für diejenigen Betroffenen, die ihren Antrag nach dem 01.05.2004 gestellt hätten. Sonst würde das Gesetz in unzulässiger Weise zurückwirken.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das zwischen den Parteien seit Mai 2000 bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 12.06.2004 nicht aufgelöst ist,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über die letzte mündliche Verhandlung hinaus ungekündigt fortbesteht,
- das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 22.03.2000 als Techniker „sonstiger Angestellter” bei der Universität zu K, Lehrstuhl für angewandte Physik, mit der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten, Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1 Teil II/L/I BAT, weiterzubeschäftigen.
Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht: die Kündigung sei wirksam. Sie sei wegen langanhaltender Krankheit des Klägers, die eine negative Prognose auch für die Zukunft indiziere, gerechtfertigt, zumal die Fehlzeiten erhebliche betriebliche Auswirkungen gehabt hätten. Ein sinnvoller/effektiver Einsatz des Klägers sei nicht möglich.
Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Er habe am 22.06.2004 seine Zustimmung erklärt, woraufhin die Kündigung ausgesprochen worden sei.
Die Zustimmung des Integrationsamtes sei zur Wirksamkeit der Kündigung nicht erforderlich gewesen, wie sich aus der Regelung des § 90 Abs. 2 a) SGB IX in der ab 01.05.2004 geltenden Fassung ergebe. Danach komme es nunmehr für die Wirksamkeit der Kündigung nicht darauf an, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung bereits objektiv vorlag und das Versorgungsamt dem Anerkennungsantrag später stattgab. Vielmehr stelle die neue Regelung einzig auf...