Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen grober Beleidigung von Arbeitskollegen

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine grobe Beleidigung zweier Arbeitskolleginnen ist zwar an sich geeignet, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer zum Vorfallszeitpunkt unter massiven Drogeneinfluss stand und daher nicht in der Lage war, sein Verhalten zu steuern.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 22.10.2019; Aktenzeichen 4 Ca 1976/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 22.10.2019 - 4 Ca 1976/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Der am 1964 geborene Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehindert. Er ist bei der beklagten Stadt seit dem 03.08.1990 als technischer Angestellter beschäftigt. Der Kläger ist aufgrund tarifvertraglicher Regelungen wegen seiner langen Betriebszugehörigkeit ordentlich unkündbar.

Am 28.07.2016 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung im Betrieb der Beklagten, bei welcher der Kläger einem Arbeitskollegen einen Faustschlag ins Gesicht versetzte. Wegen dieses Verhaltens wurde der Kläger von der Beklagten mit Schreiben vom 02.08.2016 abgemahnt.

Am 27.05.2019 kam es zu einem weiteren Vorfall bei der Beklagten. Der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt war (Diagnose des Hausarztes: "Burnout"), wurde von seiner Ehefrau in den Eigenbetrieb Technische Dienste der Beklagten gefahren, um dort eine aktuelle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzureichen. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, sodann aggressiv geworden zu sein und zwei Arbeitskolleginnen schwer beleidigt zu haben. Der Kläger behauptet aufgrund von übermäßigem Drogenkonsum an den Vorfall keine Erinnerung zu haben.

Die Beklagte lud den Kläger zu einem Anhörungsgespräch über diesen Vorfall zum 03.06.2019 ein. Der Kläger meldete sich nicht. Am 03.06.2019 wurde er - auf Anordnung des Amtsgerichts Düren - in die L eingeliefert, nachdem es zu einem Vorfall in seiner Wohnung gekommen war und seine Ehefrau die Polizei verständigt hatte. Bei diesem Vorfall stand der Kläger nach eigenen Angaben unter Drogeneinfluss. Am 24.06.2019 wurde der Kläger - gegen ärztlichen Rat - in die weitere hausärztliche Behandlung entlassen. In dem Entlassbrief der Klinik wird zur Diagnose u.a. ausgeführt:

"Psychotische Störung durch multiplen Substanzgebrauch, Nichtintravenöser Konsum (Meth-) Amphetamin-haltiger Stoffe, Abhängigkeit von Cannabis".

Mit Schreiben vom 06.06.2019 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers.

Mit Schreiben vom 12.06.2019 zeigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten dessen Interessenvertretung an. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

"Uns liegt Ihre Mitteilung betreffend die Anhörung vom 03.06.2019 vor. Der dortige Termin konnte nicht eingehalten werden, da Ihr Mitarbeiter Kraft richterlichen Beschlusses, so jedenfalls unsere Information, nach D überwiesen wurde. Er befindet sich dort in einer geschlossenen Einrichtung.

Eine Besprechung mit unserem Mandanten ist infolgedessen bisher noch nicht möglich.

(...) Inhaltlich können wir uns also nicht zu den Vorwürfen äußern. Nach Mitteilung der Ehefrau soll sich unser Mandant noch circa 2 Wochen in der Einrichtung aufhalten.

Erst nach seiner Entlassung kann ein Besprechungstermin hier stattfinden."

Mit Schreiben vom 24.06.2019 teilte das Integrationsamt der Beklagten mit, dass es innerhalb einer Frist von zwei Wochen keine Entscheidung getroffen habe, so dass die Zustimmung zur Kündigung nach § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt gelte.

Die Beklagte kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 24.06.2019 außerordentlich und fristlos, hilfsweise unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30.09.2019, äußerst hilfsweise unter Berücksichtigung der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2019.

Dagegen hat sich der Kläger mit seiner am 03.07.2019 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt.

Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Er behauptet, er habe am Tag des Kündigungsvorfalls am 27.05.2019 unter massivem Drogeneinfluss gestanden. Er könne sich daher nicht an die ihm vorgeworfenen Beleidigungen erinnern. Nach Angaben seiner Ehefrau habe er schon zu diesem Zeitpunkt ein auffälliges Verhalten gezeigt. Er habe ununterbrochen geredet, sei äußerst unruhig gewesen und erst nach massiver Anweisung der Ehefrau in der Lage gewesen, das Haus zu verlassen. Auch in den Tagen vor seiner Krankschreibung habe er auffälliges Verhalten seinen Arbeitskollegen gegenüber gezeigt, die nach seiner Kenntnis diese Verhaltensänderung auch den Vorgesetzten mitgeteilt hätten. Im Zeitpunkt des ...

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