Rechtsmittel zugelassen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer kann ein ihm nach § 273 BGB zustehendes Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung nur unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben geltend machen (so auch BAG, Urteil vom 09.05.1996 – 2 AZR 387/95 –, EzA § 626 BGB n. F. Nr. 161).
2. Ein Gehaltsrückstand berechtigt den Arbeitnehmer nur dann zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts an der Arbeitsleistung, wenn es um nicht unerhebliche Beträge geht.
3. Einem Mitarbeiter in leitender Funktion, der die Arbeitsvergütung rund 20 Jahre lang pünktlich und vollständig erhalten hat, steht kein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung zu, wenn der Arbeitgeber einmalig 40 % einer Monatsvergütung einbehält, weil er meint, diesen Betrag nicht zu schulden. In einem solchen Fall ist dem Mitarbeiter nach Treu und Glauben zuzumuten, weiterzuarbeiten und eine gerichtliche Klärung über den streitigen Lohnanspruch herbeizuführen.
4. Beruft sich ein Arbeitnehmer zu Unrecht auf ein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung und bleibt er der Arbeit längere Zeit fern, stellt das regelmäßig eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine Vertragsverletzung dar.
5. Das Verschulden an der Vertragsverletzung entfällt nicht dadurch, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung auf anwaltlichen Rat zurückhält. Zumindest gilt das dann, wenn der Arbeitnehmer Zweifel an der Berechtigung der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts haben mußte. In einem solchen Fall handelt er auf eigenes Risiko und kann sich nicht auf einen Rechtsirrtum berufen.
Normenkette
BAT § 54; BGB § 273
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 29.04.1998; Aktenzeichen 5 Ca 2424/97) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 29.04.1998 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Bonn – 5 Ca 242/97 abgeändert, soweit festgestellt wurde, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28.10.1997 nicht beendet worden sei, und soweit der Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 19.213,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit 15.11.1997 und weitere 48.034,55 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen (Ziffern 1, 5 und 6 des Tenors des erstinstanzlichen Urteils).
Insoweit wird die Klage abgewiesen.
2. Auf die Widerklage des Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 9.784,61 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.11.1997 zu zahlen.
3. Soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung von 4.073,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag ab 15.09.1997 wendet, wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 5/6, der Beklagte 1/6. Von den Kosten der Berufung trägt die Klägerin 19/20, der Beklagte 1/20.
6. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses, über die konkreten Bedingungen einer etwaigen Weiterbeschäftigung der Klägerin als Leiterin des Fachbereichs Neuropsychologie-Psychotherapie-Sozialer Dienst beim Beklagten und über wechselseitige Zahlungsansprüche.
Die inzwischen 50 Jahre alte Klägerin war seit dem 01.10.1978 bei dem Beklagten beschäftigt. Zuletzt war sie Fachbereichsleiterin Neuropsychologie-Psychotherapie-Sozialer Dienst. Die monatlichen Bruttobezüge machten rund 9.000,00 DM aus. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kraft Vereinbarung der Bundesangestelltentarifvertrag/VKA anwendbar. Der Beklagte beschäftigt rund 400 Arbeitnehmer. Der Ehemann der Klägerin war der ärztliche Direktor der Einrichtung. Er ist inzwischen aus den Diensten des Beklagten ausgeschieden.
Vom 04.07.1996 war die Klägerin mit kurzen Unterbrechungen bis zum 12.08.1997 arbeitsunfähig krank. Der Beklagte hat zweimal für die Dauer von sechs Monaten das Gehalt der Klägerin weiter gezahlt.
Durch Organisationsplan vom 12.02.1997 änderte der Beklagte unter anderem den Aufgabenbereich der Klägerin. Ihr sollte der Bereich „psychotherapeutische Übergangswohnung” zugeteilt werden, während die Psychologen den einzelnen Stationen zugeordnet und damit den Oberärzten unterstellt werden sollten. Gegen diese Änderung setzte sich die Klägerin durch Erhebung einer Klage vor dem Arbeitsgericht Bonn zur Wehr. Das Gericht stellte durch Urteil vom 19.06.1997 fest, dass die Entziehung der Leitung des Fachbereichs Neuropsychologie-Psychotherapie-Sozialer Dienst gegenüber der Klägerin unwirksam sei. Dieses Urteil ist seit August 1997 rechtskräftig.
Mit Datum vom 26.06., 11.07., 12.08. und 18.08.1997 (Bl. 13, 16, 20 und 22 d. A.) forderte die Klägerin den Beklagten durch Anwaltsschreiben auf, sie nach Maßgabe des Feststellungsurteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 19.06.1997 zu beschäftigen. Im Schreiben vom 12.08.1997 ließ die Klägerin zugleich mitteilen, dass ihre Arbeitsunfähigkeit mit dem 12.08.1997 ende und dass sie ab 13.08.1997 beschäftigt werden müsse. Der Beklagte, der sich zur Frage der weiteren Beschäftigung bis dahin nur hinhaltend geäußert hatte, teilte dem Klägervertreter ...