Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertarifliche Zulage. Anrechnung. Arbeitszeitverkürzung
Leitsatz (amtlich)
1. Ist eine übertarifliche Zulage mit einem Anrechnungsvorbehalt verbunden, der sich generell auf Tariflohnerhöhungen bezieht, so erfaßt dieser Vorbehalt im Zweifel nicht den Lohnausgleich für eine tarifliche Arbeitszeitverkürzung (im Anschluß an BAG v. 07.02.1996 EzA § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 55).
2. Anders ist die Rechtslage dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich eine umfassende Anrechnungsmöglichkeit vereinbart haben.
Normenkette
BGB § 611; BetrVG § 87
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 20.08.1996; Aktenzeichen 6 (5) Ca 1712/95) |
ArbG Aachen (Urteil vom 20.06.1996; Aktenzeichen 6 (2) Ca 1742/95) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers S gegen das am 20.06.1996 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Aachen – 6 (2) Ca 1746/95 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Berufungen der Kläger H und T werden die am 20.08.1996 verkündeten Urteile des Arbeitsgerichts Aachen – 6 (2) Ca 1742/95 und 6 (5) Ca 1712/95 – abgeändert:
- Die Beklagte wird unter Klageabweisung im übrigen verurteilt, an den Kläger H 1.221,12 DM brutto zu zahlen.
- Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger T 2.395,20 DM brutto zu zahlen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten zu 59 %, dem Kläger S zu 34 % und dem Kläger H zu 7 % auferlegt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen. Von einer erneuten Darstellung des Sachverhalts wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Das Arbeitsgericht hat die Klagen durch Urteile vom 20.08.1996 abgewiesen. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf Bl. 60 ff d.A. 6 (2) Ca 1742/95 verwiesen.
Gegen die am 06.11.1996 zugestellten Urteile des Arbeitsgerichts haben die verbliebenen Kläger zu 1) (H), zu 2) (S) und zu 3) (T) am 05.12.1996 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist jeweils am 04.02.1997 begründet worden ist.
Entscheidungsgründe
II. Die Berufungen der Kläger sind zulässig, weil sie statthat (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden sind (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
III. In der Sache haben die Rechtsmittel des Klägers zu 3) vollen und des Klägers zu 1) teilweise Erfolg, während die Berufung des Klägers zu 2) unbegründet ist.
1. Der Kläger zu 3) (T) kann gem. § 611 Abs. 1 BGB für die Zeit von April 1995 bis Januar 1996 monatliche Lohndifferenzen in Höhe von 239,52 DM brutto, mithin insgesamt eine Nachzahlung von 2.395,20 DM brutto beanspruchen.
Die Beklagte war zu einer teilweisen Verrechnung der dem Kläger gezahlten übertariflichen Zulage im Zuge der Anhebung der Tariflöhne zum Lohnausgleich für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche ab dem 01.04.1995 nicht berechtigt. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei dieser übertariflichen Zulage wegen der Sondervereinbarung vom 13.03.1991 zumindest teilweise um eine echte Leistungszulage gehandelt hat, die grundsätzlich anrechnungsfest ist. Denn die Anrechnung der Tariflohnerhöhung von 1,52 DM brutto pro Stunde war der Beklagten aus anderen Gründen individualrechtlich verwehrt.
Das Berufungsgericht folgt insoweit der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das mit Urteil vom 07.02.1996 (EzA § 87 BetrVG Betriebliche Lohngestaltung Nr. 55) den Leitsatz aufgestellt hat: Ist eine übertarifliche Zulage – stillschweigend oder ausdrücklich – mit einem Anrechnungsvorbehalt verbunden, der sich generell auf Tariflohnerhöhungen bezieht, so erfaßt dieser Vorbehalt im Zweifel nicht den Lohnausgleich für eine tarifliche Arbeitszeitverkürzung. Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß jede Arbeitszeitverkürzung mit vollem oder teilweisem Entgeltausgleich zu einem erhöhten Arbeitsentgelt pro Zeiteinheit führt. Dieser Ausgleichsbetrag werde aber nicht von einer Anrechnungsklausel erfaßt, die stillschweigend oder durch bloßen Freiwilligkeitsvorbehalt vereinbart worden sei und sich generell auf Tariferhöhungen beziehe. Denn unter einer Tariferhöhung im allgemeinen Sprachgebrauch werde nur eine Erhöhung des tariflich geschuldeten Entgeltbetrags verstanden, nicht dagegen eine bloße Steigerung des Werts der Arbeitsleistung pro Zeiteinheit aufgrund einer Arbeitszeitverkürzung oder Pausenverlängerung ohne entsprechende Kürzung des Arbeitsentgelts. Aus der Sicht des Arbeitnehmers als Erklärungsempfänger liege eine Tariflohnerhöhung nur dann vor, wenn sich der Betrag des tariflich geschuldeten Arbeitsentgelts erhöhe.
Dieses Verständnis des üblichen Anrechnungsvorbehalts entspricht nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (aaO) auch dem Zweck einer übertariflichen Zulage: Diese solle das für den Arbeitnehmer verfügbare Einkommen erhöhen und der Entwicklung anpassen. Die Annahme, daß mit der Gewährung einer übertariflichen Zulage, die nicht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sei, regelmäßig an Anrechnungsvorbehalt verbunden sei, finde ihre Rech...