Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Änderungskündigung. Verdachtskündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1) „Schwerwiegende Verdachtsmomente” i. S. d. Rechtsprechung des BAG zur Verdachtskündigung.

2) Eine ordentliche Änderungskündigung, die auf eine vor Ablauf der Kündigungsfrist wirksam werdende Veränderung der Arbeitsbedingungen zielt, ist nach § 1 Abs. 2, § 2 KSchG unwirksam (vgl. BAG 21.09.2006 – 2 AZR 120/06 –). Entsprechendes gilt für eine außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Urteil vom 22.04.2008; Aktenzeichen 6 Ca 3994/08)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 22.04.2008 – 6 Ca 3994/08 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

(Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.)

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg.

I. Zu Recht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die außerordentliche Änderungskündigung, die auf den dringenden Verdacht eines Verstoßes gegen die Fürsorge- und Erziehungspflicht bzw. den Verdacht der Kindeswohlgefährdung durch die Klägerin gestützt ist, deshalb nicht durch einen wichtigen Grund i. S. d. § 30 Abs. 2 TVöD bzw. des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist, weil ein solcher dringender Verdacht nicht festgestellt werden kann.

I. Hinsichtlich der Grundsätze der Verdachtskündigung wird zunächst gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf die Entscheidung des Arbeitsgericht, dort Seite 9. Zu ergänzen ist, dass die neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbesondere 29.11.2007 – 2 AZR 724/06) eine lediglich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht mehr ausreichen lässt. Es müssen vielmehr „dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmoment vorliegen und diese geeignet sein, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören … Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein Unschuldiger betroffen ist …Der notwendige schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss ferner dringend sein, d. h. bei einer kritischen Prüfung muss ein auf Beweisanzeichen gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers bestehen” (BAG a. a. O.).

II. Es fehlt im vorliegenden Fall an einer ausreichenden Darlegung schwerwiegender Verdachtsmomente, an die – siehe oben – besonders strenge Anforderungen zu stellen ist.

1. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Beklagte der Klägerin nicht vorwirft, aktiv das Pflegekind mit unangemessenen Erziehungsmaßnahmen überzogen zu haben. Der Vorwurf geht vielmehr dahin, dass der Ehemann das Pflegekind unangemessen laut angeschrien habe und die Klägerin dagegen nicht rechtzeitig eingeschritten sei, sondern versucht habe, die Vorfälle zu verdecken und zu bagatellisieren.

Ob die Klägerin hätte einschreiten müssen, ob sie ein Fehlverhalten des Ehemannes „gedeckt” hat und ob sie es „nachträglich bagatellisiert” hat, hängt davon ab, welches genaue Fehlverhalten dem Ehemann vorgeworfen wird, wie schwerwiegend es war und ob es überhaupt „ein Fehlverhalten” war oder aus der konkreten Situation durch pädagogische Umstände, nämlich die besondere Verhaltensauffälligkeit des Pflegekindes, gerechtfertigt war. Dem Ehemann wird – auch in allgemeiner Form – nicht vorgeworfen, dass Kind in irgendeiner Weise körperlich misshandelt zu haben, sondern die Beklagte wirft dem Ehemann der Klägerin vor, das Pflegekind „jedenfalls wenigstens seit März 2007 bis zum 03.07.2008 immer wieder anhaltend in einer ausgesprochen aggressiven und menschenverachtenden Weise und mit einer solch extremen Lautstärke” angeschrien zuhaben, dass sich „Kasernenhofgebrüll im Vergleich dazu wie ein angenehmes Säuseln anhört”.

Die Vorwürfe beruhen auf Bekundungen der Nachbarn.

Ob der Ehemann „aggressiv und menschenverachtend” war und ob dieses „immer wieder” und „anhaltend” war, lässt sich erst dann beurteilen, wenn die konkreten einzelnen Fälle so präzise dargestellt sind, dass zumindest feststellbar ist, welche Worte der Ehemann gebraucht hat. Es ist aber – das hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt – von der Beklagten nicht ein Fall konkret vorgetragen. Das Vorbringen ist insoweit unsubstantiiert und damit unschlüssig. Subjektive Empfindungen von Lautstärke durch Nachbarn können einen Vortrag zu konkreten objektiven Tatsachen, aus denen der Schluss auf aggressives und menschenverachtendes Verhalten des Ehemannes gezogen werden kann, nicht ersetzen.

Das gilt auch für die in der Berufungsbegründung noch im Einzelnen herv...

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