Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung einer Prokuristin wegen Zugangsverschaffung zu Mailaccounts der Mitarbeiter

 

Leitsatz (amtlich)

Lässt sich eine Prokuristin mittels eines Tickets an den IT-Dienstleister die Möglichkeit eines Zugriffs auf Email-Accounts von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einräumen, so stellt dies allein ohne Hinzutreten weiterer Tatschen, keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 20.04.2023; Aktenzeichen 6 Ca 6890/22)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.04.2023 - 6 Ca 6890/22 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien, deren Arbeitsverhältnis jedenfalls aufgrund einer hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung beendet ist, streiten insbesondere über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Diese Kündigung hatte die Beklagte mit der Begründung ausgesprochen, die Klägerin habe sich unberechtigt die Zugriffsrechte auf Email-Accounts einrichten lassen. Die vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängige, der Höhe nach aber nicht umstrittene Urlaubsabgeltung ist ebenfalls Gegenstand des Rechtsstreits. Der auch in der Berufungsinstanz rechtshängige Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zeugniserteilung ist zwischen den Parteien in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht nicht streitig.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 20.04.2023 Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage insgesamt stattgegeben, also die fristlose Kündigung als unwirksam erachtet, die begehrte Urlaubsabgeltung der Klägerin zugesprochen und den unstreitigen Zeugniserteilungsanspruch tituliert. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, unstreitig sei lediglich, dass sich die Klägerin in ihrer Funktion als Prokuristin mit einem Ticket bei der betreuenden IT-Firma die Zugriffsrechte habe einräumen lassen, alles Weitere könne nur Gegenstand eines Verdachts sein. Für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung fehle es aber an der Durchführung einer Anhörung der Klägerin. Der besagte unstreitige Sachverhalt allein reiche nicht als Tatsache aus, um anzunehmen, dass der Beklagten die weitere Beschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Als milderes Mittel sei eine Abmahnung in Betracht gekommen.

Gegen dieses ihr am 19.05.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.06.2023 Berufung eingelegt und sie hat diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.08.2023 am 18.08.2023 wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne es auf eine vorherige Abmahnung nicht ankommen, denn die Rechtswidrigkeit ihres Handelns sei für die Klägerin offensichtlich gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.04.2023 - 6 Ca 6890/22 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig aber nicht begründet.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung auf diverse Urteile und eine Literaturstimme Bezug nimmt (LAG Köln v. 14.05.2010 - 4 Sa 1257/09 -; LAG München v. 08.07.2009 - 11 Sa 54/09 -; LAG Schleswig-Holstein v. 03.06.2008 - 5 Sa 22/08 -; LAG Hamm vom 12.04.2013 - 13 Sa 1686/12 -; Taeger/Pohle/Faas, Computerrechtshandbuch, Kapitel 70.2, Rn. 69 -), tut sie dies ohne Erfolg, denn bei all diesen Rechtssprechungs- und Literaturnachweisen geht es um den tatsächlich erfolgten Zugriff auf fremde Emails durch einen hierfür nicht autorisierten Mitarbeiter; im hier zu entscheidenden Fall steht aber lediglich die Einräumung der Möglichkeit eines solchen Zugriffs im Raum, und dies durch Aufgabe eines Tickets. Es geht also nicht um einen Eingriff in Persönlichkeitsrechte und wirtschaftliche Interessen, sondern lediglich um die Gefährdung dieser Rechtspositionen und es geht nicht um eine Mitarbeiterin, der der Zugriff auf dienstliche Accounts anderer Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich untersagt wurde, sondern um eine Prokuristin (§ 49 Abs. 1 HGB).

Der Begründung des Arbeitsgerichts ist daher nichts...

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