Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsprivileg bei Arbeitsunfall - Vorsatz - Unfallverhütungsvorschriften. Vorsatz
Leitsatz (amtlich)
Eine Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden aufgrund von Arbeitsunfällen nach § 104 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Personenschaden als solchen zumindest billigend in Kauf genommen hat; der vorsätzliche Verstoss gegen Unfallverhütungsvorschriften allein reicht nicht aus.
Normenkette
SGB VII § 104
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen 5 (8) Ca 1191/02 d) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.08.2002 – 5 (8) Ca 1191/02 d – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung des Klägers ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist somit zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung, die sich das Berufungsgericht zu Eigen macht, hat das Arbeitsgericht die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Leistung von sonstigem Schadensersatz aufgrund des am 25.09.1998 erlittenen Arbeitsunfall gerichtete Klage zurückgewiesen. Soweit der Kläger den im angefochtenen Urteil bereits hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage geäußerten Bedenken durch Stellung eines bezifferten Antrags in der Berufungsinstanz Rechnung getragen hat, ist die Klage jedenfalls unbegründet.
Die Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung und in der Berufungsverhandlung vermögen an der Entscheidung, die wesentlich auf der gesetzlichen Regelung beruht, dass nach § 104 Abs. 1 SGB VII bei nicht vorsätzlich verursachten Arbeitsunfällen Ansprüche auf Ersatz des Personenschadens und auf Schmerzensgeld ausgeschlossen sind, nichts zu ändern. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich auch das erkennende Gericht anschließt, ist ein Arbeitsunfall nicht schon deshalb vorsätzlich herbeigeführt worden, wenn der Arbeitgeber die Unfallverhütungsvorschriften vorsätzlich mitachtet hat und der Unfall hierauf beruht (BAG vom 02.03.1989 – 8 AZR 416/87 –; LAG Köln vom 11.08.2000 – 4 Sa 553/00 – ZTR 2001, 86). Es entspricht auch der ganz herrschenden Auffassung im Schrifttum, dass eine „vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls” im Sinne der §§ 104 ff. SGB VII bedeutet, dass der Vorsatz sich auch auf den Personenschaden beziehen muss. Dass ein vorsätzlicher Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften allein nicht genügt, sondern vielmehr der Unternehmer den Personenschaden als solchen zumindest billigend in Kauf genommen haben muss, ergibt sich entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung gerade aus der anderslautenden, aber eben nur in § 110 SGB VII enthaltenen Regelung für Regressansprüche der Sozialversicherungsträger gegen den Schädiger (vgl. LAG Köln aaO).
Dafür, dass im konkreten Fall der Arbeitsunfall vom Unternehmer zumindest mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt worden ist, d.h. dass dieser den möglicherweise eintretenden Erfolg für den Fall seines Eintritts gebilligt hat (BAG vom 08.12.1970, AP Nr. 4 zu § 636 RVO; BAG vom 02.03.1989 – 8 AZR 416/87 –), ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig. Aus den vom ihm in erster und zweiter Instanz vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit dem unstreitigen Sachverhalt ergeben sich auch nach Auffassung des Berufungsgerichts keine hinreichend aussagekräftigen Indiztatsachen dafür, dass der Beklagte ein Unfallereignis wie das beim Kläger geschehene billigend in Kauf genommen hätte.
Einer solchen Überlegung könnte unter Umständen dann näher getreten werden, wenn sich in der Vergangenheit bereits vergleichbare Unfälle an der vom Kläger bedienten Maschine ereignet hätten, die durch die Entfernung der Schutzleiste bedingt gewesen sind. Hierfür hat indessen der Kläger nichts vortragen können.
Gegen ein vom Beklagten gebilligtes Inkaufnehmen des Unfallereignisses und der beim Kläger eingetretenen Verletzung spricht aber nach Auffassung des Berufungsgerichts vor allem der vom Beklagten bereits mit Schriftsatz vom 06.11.2000 vorgetragene Umstand, dass der Zeuge E vom staatlichen Amt für Arbeitsschutz noch am Unfalltag die Tafelschere wieder zur Arbeit freigegeben hatte, nachdem der Beklagte zugesagt hatte, in absehbarer Zeit die Schutzleiste wieder anzubringen. Wenn ein Vertreter des Amtes für Arbeitsschutz, dessen Aufgabe in der Verhinderung von Unfällen besteht, den Betrieb einer Maschine – wenn auch unter Auflagen – zunächst wieder freigibt, so kann schlechterdings nicht angenommen werden, dass das durch den Weiterbetrieb der Maschine gegebene Risiko weiterer Arbeitsunfälle von den dafür verantwortlichen Personen „billigend in Kauf genommen” worden ist. Andernfalls könnte der gleiche Vorwurf nämlich auch gegenüber dem Vertreter des für den Arbeitsschutz zuständigen Amtes erhoben werden, der – anders als der Beklagte – seine Entscheidung nicht aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen, sondern allein im Interesse der Sicherheit der an ...