Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkung von Freistellung zur Kinderpflege auf Jahressonderzahlung nach MTV Einzelhandel
Orientierungssatz
Nimmt eine Arbeitnehmerin eine eintägige unbezahlte Freistellung zur Pflege ihres erkrankten Kindes in Anspruch, führt dies nicht zur anteiligen Kürzung der Jahressonderzuwendung nach § 12 Abs. 3 MTV um 1/12.
Normenkette
MTV Einzelhandel Mecklenburg-Vorpommern § 12; SGB V § 45
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Urteil vom 14.10.2004; Aktenzeichen 4 Ca 443/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil desArbeitsgerichts Schwerin –4 Ca 443/04 – vom14.10.2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin ein ungekürzter Anspruch auf Jahressonderzuwendung gemäß § 12 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Mecklenburg-Vorpommern vom 1.10.2003 zusteht; der Tarifvertrag ist kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.
Die Beklagte hat die Sonderzuwendung für das Jahr 2003 um 2/12 gekürzt, weil die Klägerin am 4. April 2003 und am 16. Oktober 2003 wegen einer Erkrankung ihres Kindes nicht gearbeitet hat. Der von der Klägerin aufgrund der Kürzung nachgeforderte Betrag von 157,50 EUR ist zwischen den Parteien in der Höhe unstreitig.
Die Beklagte beruft sich auf § 12 Abs. 3 des Tarifvertrages. Dieser lautet: „Dieser Anspruch besteht nur jur Zeiten, in denen ein Entgeltanspruch besteht. Für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht volle Monate tätig war, kann die tarifliche Sonderzuwendung um 1/12 gekürzt werden.”
Das Arbeitsgericht Schwerin hat mit Urteil vom 14. Oktober 2004 für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 157,50 EUR brutto nebst fünf Prozent Zinsen oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 1.12.2003 zu zahlen.
- Die Berufung wird zugelassen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Der Streitwert wird festgesetzt auf 157,50 EUR.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht sinngemäß ausgeführt: Die Auslegung des § 12 als Belohnung der Betriebstreue ergebe, dass der Anspruch grundsätzlich nur um die Zeiten zu vermindern sei, in denen das Arbeitsverhältnis ohne Entgelt geruht habe, etwa bei Erziehungsurlaub, Wehrdienst oder längerem Sonderurlaub. Mit solchen Tatbeständen sei der Freistellungsanspruch zur Pflege eines Kindes nicht vergleichbar. Es würde auch einen Wertungswiderspruch gegenüber dem Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers selbst bestehen, wenn für die Zeit der Entgeltfortzahlung der Anspruch auf die Sonderzuwendung bestehen bleibe, während er hier entfallen solle, obwohl der Arbeitgeber sogar von der Entgeltfortzahlung entlastet sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichem Sachstandes und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin im Ganzen Bezug genommen.
Gegen das am 25. November 2004 zugestellte Urteil hat die anwaltlich vertretene Beklagte am 23. Dezember 2004 Berufung eingelegt und diese am 25. Januar 2005 begründet.
Zur Begründung ihrer Berufung führt die Beklagte aus: Der § 12 des Manteltarifvertrages sei der vom Arbeitsgericht vorgenommen Auslegung nicht zugänglich. Nach § 12 Abs. 3 bestehe der Anspruch nur für Zeiten, in denen ein Entgeltanspruch bestehe. Unter Berücksichtigung der Kürzungsregelung bedeute das, dass er für die Monate, in denen nicht für alle Arbeitstage ein Entgeltanspruch bestehe, von vornherein anteilig nicht entstehe. Die Annahme des Arbeitsgerichts, die Einschränkung des Sonderzuwendungsanspruches sei nur für Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses gewollt, sei durch nichts belegt. Dem widerspreche auch, dass das Arbeitsverhältnis auch nach Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlung nicht ruhe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin – 4 Ca 443/04 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin erwidert: § 12 Abs. 3 begründe keine Kürzungsautomatik; es heiße dort: „es kann gekürzt werden”, nicht jedoch: „es wird gekürzt”. Der Arbeitgeber habe danach ein Wahlrecht, das er nach billigem Ermessen (gemäß § 315 BGB) ausüben müsse. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin, wenn sie nicht für die beiden Tage einen Krankengeldanspruch gemäß § 45 SGB-V gehabt hätte, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Vergütungsanspruch nach § 616 BGB haben würde. Wenn der Arbeitgeber aber durch eine gesetzliche Regelung von seiner Entgeltpflicht entlastet werde, würde es unbillig sein, dass ihm als weiterer Vorteil auch noch der Wegfall des Anspruches auf die Sonderzuwendung zuteil würde.
Die von der Beklagten vertretene Auslegung des § 12 Abs. 3 könnte zu dem zufälligen Ergebnis fuhren, dass jeweils ein Kinderbetreuungstag je Monat den Anspruch auf die Sonderzuwendung für das ganze Jahr entfallen ließe; dies würde der Wertung des Artikel 6 des Grundgesetzes widersprechen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrecht...