Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansprüche des Arbeitnehmers bei unterbliebener Aushändigung des Haustarifvertrages durch den Arbeitgeber. Auslegung eines Arbeitsvertrages hinsichtlich der Bezugnahme auf einen Tarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. Befindet sich ein Arbeitgeber mit der Aushändigung der nach § 2 NachwG geschuldeten Niederschrift in Verzug, hat er gemäß § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB den durch den Verzug adäquat verursachten Schaden zu ersetzen. Deshalb kann ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber verlangen, so gestellt zu werden, als wäre sein Zahlungsanspruch nicht untergegangen, wenn ein solcher Anspruch nur wegen Versäumung der Ausschlussfrist erloschen ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers rechtzeitig geltend gemacht worden wäre (inzwischen ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 21. Februar 2012 - 9 AZR 486/10 - AP Nr. 94 zu § 7 BUrlG Abgeltung = DB 2012, 1388; BAG 5. November 2003 - 5 AZR 676/02 - AP Nr. 7 zu § 2 NachwG = NZA 2005, 64). Mit dieser Sanktion für die Verletzung der Pflichten aus dem Nachweisgesetz ist der Nachweisrichtlinie (Richtlinie 91/533/EWG des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen) Genüge getan.
2. Wenn in einem Formulararbeitsvertrag bei den Regelungen zum Gehalt Spalten für die Eintragung von Geldbeträgen vorgesehen sind, diese aber beim Ausfüllen offen gelassen werden und stattdessen frei das Wort "BAT-Ost Gemeinden" und leicht abgesetzt davon die Wendung "VII" eingesetzt wird, kann das von einem verständigen Leser nur dahin verstanden werden, dass die Parteien keine eigene Vergütungsregelung treffen wollten, sondern dass sie sich hinsichtlich der Vergütung an das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes binden wollten. Diese Vereinbarung ist im Zweifel auch dahin zu verstehen, dass sich die vereinbarte Vergütung nach dem jeweiligen Tarifstand richten sollte. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BAG, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf anderweitige normative Regelungen - hier auf die benannte Vergütungsgruppe des BAT/BAT-O - in der Regel dynamisch zu verstehen sind, und zwar auch dann, wenn nur ein Teil des Tarifvertrages in Bezug genommen worden ist (BAG 13. Februar 2013 - 5 AZR 2/12 - AP Nr. 119 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = DB 2013, 2030; BAG 13. November 2002 - 4 AZR 351/01 - BAGE 103, 338 = AP Nr. 24 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = DB 2003, 1001; BAG 28. Mai 1987 - 4 AZR 663/95 - AP Nr. 6 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = DB 1997, 2130).
3. Die Auslegungsregel, nach der in Altverträgen eine Verweisungsklausel auf ein Tarifwerk als Gleichstellungsabrede zu verstehen ist, ist auch dann anzuwenden, wenn die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an Verbandstarifverträge auf einer dynamischen Verweisung in einem Haustarifvertrag beruht (BAG 11. Dezember 2013 - 4 AZR 473/12).
4. Eine Gewerkschaft kann eine andere Gewerkschaft - auch konkludent - bevollmächtigen, einen Tarifvertrag abzuschließen. Die Vorstellung, eine Gewerkschaft würde einer anderen Gewerkschaft konkludent eine unbefristete und auch inhaltlich nicht weiter eingegrenzte Vollmacht für eine unbekannte Anzahl späterer (Haus-)Tarifverträge erteilen, ist allerdings so ungewöhnlich, dass es dafür konkreter Anhaltspunkte für eine derart weitgehende Vollmacht bedarf.
Normenkette
BGB § 611; TVG § 1; NachweisG § 2; BAT § 70; TVöD § 37; BGB § 164
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 13.07.2011; Aktenzeichen 55 Ca 2156/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers und unter teilweiser Abänderung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts Schwerin vom 13. Juli 2011 (55 Ca 2156/09) wird der Beklagte verurteilt,
a) an den Kläger 2.741,34 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. November 2009 zu zahlen;
b) an den Kläger 39,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2009 zu zahlen;
2. Die weitergehende klägerische Berufung und die Berufung des Beklagten werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt - unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Kostenentscheidung - der Kläger zu 70 von 100 Anteilen und im Übrigen der Beklagte.
Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens der Streithelferin, die der Kläger zu 70 von 100 Anteilen zu tragen hat. Den weiteren Anteil an diese Kosten hat die Streithelferin selbst zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten mit wechselseitigen Anträgen um die vertragsgemäße bzw. tarifgerechte Vergütung des Klägers und dabei auch um die Frage, ob der Kläger Vergütung als Rettungssanitäter oder als Rettungsassistent beanspruchen kann.
Der Beklagte - verfasst in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins - betreibt in seinem regionalen Zuständigkeitsgebiet D-Stadt und Nordwest-Mecklenburg unter anderem Kinderein...