Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergleich. Prozessvergleich. Rechtsstreitserledigung. Rücktritt. Nichterfüllung. Vertragstreue. Bezugnahmeklausel. BAT. TVöD. Rücktritt des Arbeitnehmers vom Prozessvergleich wegen seiner teilweisen Nichterfüllung durch den Arbeitgeber. Rücktritt von gerichtlichem Vergleich bei unvollständiger Entgeltabrechnung. Fortsetzung des Rechtsstreits zur arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und zur Wirksamkeit des Vergleichs nach Rücktrittserklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein vor Gericht abgeschlossener Vergleich, mit dem der Rechtsstreit erledigt wird, kann ein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff BGB sein, wenn in ihm ein beiderseitiges Nachgeben zum Ausdruck kommt oder sich die Parteien zusätzlich Leistungen versprechen, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.

2. Soweit in einem Streit über die Auslegung einer einzelvertraglichen Bezugnahme auf den BAT-O nach Einführung des TVöD die Arbeitnehmerin für die Vergangenheit auf mögliche Differenzentgeltansprüche verzichtet, der Arbeitgeber dagegen die zukünftige (modifizierte) Zahlung nach dem TVöD verspricht, stehen diese beiden Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis.

3. Erfüllt der Arbeitgeber seine Pflicht zur Entgeltabrechnung nach den Regeln des TVöD nur unvollständig, kann dies im Einzelfall insbesondere bei Hinzutreten von Hinweisen auf mangelnde Vertragstreue des Arbeitgebers den Rücktritt von dem gerichtlichen Vergleich nach § 323 Absatz 5 BGB oder nach § 324 BGB rechtfertigen.

4. Der Streit um die Wirksamkeit des Vergleichs nach der Rücktrittserklärung ist durch Fortsetzung des Rechtsstreits, der durch den Vergleich (scheinbar) erledigt wurde, zu klären (BAG 30. Mai 1956 - 2 AZR 178/54 - BAGE 3, 43 = AP Nr. 2 zu § 794 ZPO = ArbuR 1956, 315; BAG 17. Januar 1991 - 8 AZR 14/90 - nicht amtlich veröffentlicht, sowie mit ausführlicher Begründung BAG 5. August 1982 - 2 AZR 199/80 - BAGE 40, 17 = DB 1983, 1370 = NJW 1983, 2212 = AP Nr. 31 zu § 794 ZPO zum insoweit vergleichbaren Fall der streitigen vertraglichen Aufhebung eines gerichtlichen Vergleichs; vgl. auch LAG Mecklenburg-Vorpommern 8. Dezember 2009 - 5 Sa 156/09).

 

Normenkette

BGB §§ 323-324, 779, 323 Abs. 5, § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 03.12.2007; Aktenzeichen 6 Ca 2790/06)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.08.2014; Aktenzeichen 4 AZR 999/12)

 

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten auf Feststellung der Erledigung des Berufungsverfahrens wird abgewiesen.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 3. Dezember 2007 (6 Ca 2790/06) in seinem Punkt 2 teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit das Arbeitsgericht die Beklagte zu mehr als zur Zahlung von 2.527,61 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Oktober 2007 verurteilt hat.

3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

4. Zum Zwecke der Klarstellung wird die Feststellung aus Ziffer 2 des arbeitsgerichtlichen Urteils wie folgt neu formuliert:

Es wird festgestellt, dass auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis der den BAT-Ost ersetzende Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) ab dem 1. Oktober 2005 anzuwenden ist, soweit die Parteien nicht durch die Ziffern 1 bis 4 des Änderungsvertrag vom 4. Januar 2005 davon Abweichendes geregelt haben.

5. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten mit Zahlungs- und Feststellungsanträgen darum, ob auf ihr Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in seiner jeweils geltenden Fassung Anwendung findet. Der Rechtsstreit schien durch Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht vom 20. Januar 2009 in der Berufungssache 5 Sa 4/08 erledigt. Die Klägerin ist nunmehr allerdings von diesem Vergleich wegen teilweiser Nichterfüllung zurückgetreten, so dass die Parteien zusätzlich auch darum streiten, ob sich der ursprüngliche Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt hat.

Die Klägerin ist mindestens seit Oktober 1991 bis heute im Krankenhaus am C. See als Krankenschwester beschäftigt. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft E. und war zuvor Mitglied einer der Gewerkschaften, die sich zur Dienstleistungsgewerkschaft E. zusammengeschlossen haben. Das Krankenhaus wurde in den frühen 90er Jahren vom Landkreis B-Stadt als Kreiskrankenhaus betrieben. Der später durch die Kommunalreform in den 90er Jahren untergegangene Landkreis war seinerzeit Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Mecklenburg-Vorpommern e.V. (KAV), der seinerseits Mitglied in der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VkA) ist.

Im Jahre 1994 ist das Haus in die Trägerschaft eines privaten Klinikkonzerns überführt worden. Zu diesem Zwecke hat der Landkreis zunächst eine GmbH, die heutige Beklagte, gegründet. Der Gesellschaftsvertrag ist am 2. Februar 1994 vor dem Notar unterzeichnet worden, die Eintragung im Handelsregister des ...

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