Entscheidungsstichwort (Thema)
Bereitschaftsdienst als Nachtarbeit im Sinne der TV-Ärzte Sana. Anfall von Nachtarbeitsstunden zwischen 20 und 6 Uhr. Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei Ausgleich für Nachtarbeit. Rechtmäßigkeit unterschiedlich hoher Entgelte für Zeitzuschläge und Zusatzurlaub
Leitsatz (amtlich)
1. Auch Bereitschaftsdienst stellt Nachtarbeit im Sinne des § 7 Abs. 8 TV-Ärzte Sana dar. Wenn § 25 Abs. 5 TV-Ärzte Sana auf eine bestimmte Stundenanzahl der Nachtarbeit abstellt, lässt sich daraus unter der Prämisse, dass sowohl Bereitschaftsdienst wie auch Vollarbeit Nachtarbeit darstellen, schließen, dass zwischen 20 Uhr und 6 Uhr geleistete Bereitschaftsdienststunden geleistete Nachtarbeitsstunden im Sinne des § 25 Abs. 5 TV-Ärzte Sana bilden.
2. § 6 Abs. 5 ArbZG schließt einen Belastungsausgleich durch Kumulation von Entgelt und Zusatzurlaub nicht aus, sondern überlässt es mit dem gewährten Tarifvorbehalt den Tarifvertragsparteien zu entscheiden, auf welche Art und Weise sie den Ausgleich regeln.
3. Sehen Tarifvertragsparteien lediglich für die Berechnung des Entgelts (§ 9 Abs. 2 TV-Ärzte Sana) und der Zeitzuschläge (§ 9 Abs. 3 TV-Ärzte Sana) eine Fakturierung vor, übernehmen eine solche jedoch nicht für die Regelung des Zusatzurlaubs (§ 25 Abs. 5 TV-Ärzte Sana), haben sie damit ihrem Willen Ausdruck verliehen, Bereitschaftsdienst entgeltmäßig nicht wie Vollarbeit zu bewerten, diese Unterscheidung jedoch für Zusatzurlaub begründende Nachtarbeitsstunden nicht durchführen zu wollen.
Normenkette
TV-Ärzte Sana § 25 Abs. 5; ArbZG § 6 Abs. 5; TV-Ärzte § 7 Abs. 8, § 9 Abs. 3; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 28.01.2021; Aktenzeichen 5 Ca 687/19) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Nach teilweiser Rücknahme der Klage wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 28.01.2021 zum Az.: 5 Ca 687/19 dahingehend neu gefasst, dass die Tenorierung zu Ziff. 2) entfällt.
III. Die Klägerin trägt 14 % der Kosten des Rechtsstreits, die Beklagte trägt 86 % der Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tariflichen Zusatzurlaub für während der Nachtzeit geleistete Bereitschaftsdienste.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, seit August 2004 als Fachärztin für Anästhesiologie- und Intensivmedizin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte in Einrichtungen der Sana-Kliniken AG (TV-Ärzte Sana) vom 22.04.2008 in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 5 vom 30.06.2016 und des Änderungstarifvertrages Nr. 6 vom 28.03.2018 Anwendung. Dieser lautet u. a. wie folgt:
"§ 7 ...
(4) Die Ärzte sind verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Der Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne.
(8) Nachtarbeit ist die Arbeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr.
§ 8 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit
(1) Ärzte erhalten neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung Zeitzuschläge. Die Zeitzuschläge betragen - auch bei Teilzeitbeschäftigten - je Stunde
a) ... |
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b) für Nachtarbeit |
15 v. H. |
...
§ 9 Ausgleich für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft
...
(2) Zur Berechnung des Entgelts wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit jeweils in drei Stufen als Arbeitszeit gewertet. Ausschlaggebend sind die Arbeitsleistungen, die während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallen:
Bereitschaftsdienst-Stufe |
Arbeitsleistung innerhalb des Bereitschaftsdienstes |
Bewertung als Arbeitszeit |
I |
0 v.H. bis 40 v.H. |
65 v.H. |
II |
mehr als 40 v.H. bis 49 v.H. |
77,5 v.H. (i.d.F. bis 31.12.2016: 75 v.H.) |
Für die Zeit des Bereitschaftsdienstes, die als Arbeitszeit gewertet wird, werden die folgenden Bereitschaftsdienstentgelte pro Stunde gezahlt:
- Gültig ab 1. Januar 2016 -
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Stufe 1 |
Stufe 2 |
Stufe 3 |
Stufe 4 |
Stufe 5 |
Ä1 |
27,19 €/h |
27,19 €/h |
27,19 €/h |
28,65 €/h |
28,65 €/h |
Ä2 |
33,04 €/h |
33,04 €/h |
39,03 €/h |
39,03 €/h |
39,03 €/h |
Ä3 |
42,69 €/h |
42,69 €/h |
42,69 €/h |
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Ä4 |
47,57 €/h |
47,57 €/h |
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- Gültig ab 1. Januar 2017 -
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Stufe 1 |
Stufe 2 |
Stufe 3 |
Stufe 4 |
Stufe 5 |
Stufe 6 |
Ä1 |
27,73 €/h |
27,73 €/h |
27,73 €/h |
29,22 €/h |
29,22 €/h |
29,22 €/h |
Ä2 |
33,70 €/h |
33,70 €/h |
39,81 €/h |
39,81 €/h |
39,81 €/h |
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Ä3 |
43,54 €/h |
43,54 €/h |
43,54 €/h |
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Ä4 |
48,52 €/h |
48,52 €/h |
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Diese Bereitschaftsentgelte verändern sich zu demselben Zeitpunkt und in dem gleichen Ausmaß wie das Tabellenentgelt der jeweiligen Entgeltgruppe und -stufe.
Das Bereitschaftsdienstentgelt kann im Verhältnis 1:1 in Freizeit abgegolten werden (Freizeitausgleich). Für die Zeit des Freizeitausgleichs werden das Tabellenen...