Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Urteil vom 01.04.1997; Aktenzeichen 5 Ca 617/96) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 1. April 1997 abgeändert:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. Oktober 1996 zum 31. März 1997 beendet worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleiter bis zur Rechtskraft dieses Urteils weiterzubeschäftigen.
Im übrigen wird der Weiterbeschäftigungsantrag abgewiesen.
II. Die Anschlußberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses, das die Beklagte gekündigt hat, weil der Kläger für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) tätig war und dies auf Befragen verschwiegen hat.
Der am 2. Februar 1944 geborene, geschiedene Kläger steht bei der Beklagten seit dem 12. November 1990 in einem Arbeitsverhältnis, das auf dem Arbeitsvertrag vom 6.12.1990 und dem Änderungsvertrag vom 24.4.1991 (Blatt 13, 14 d. A.) beruht, wonach der Kläger als Abteilungsleiter tätig war. Ihm unterstand die Abteilung Soziale Dienste mit siebzehn Mitarbeitern.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. Oktober 1996 (Blatt 15–18 d. A.) außerordentlich zum 31. Oktober 1996 und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin – unter Hinweis auf § 53 BAT-O – gekündigt. Der Kläger hat gegen die am 12. Oktober 1996 zugegangene Kündigung am 1. November 1996 Klage erhoben.
Vor Ausspruch der Kündigung hat die Beklagte ihren Personalrat mit Schreiben vom 4.10.1996 (Blatt 56–59 d. A.) nebst Anlagen unter Abkürzung der Frist zur Stellungnahme auf fünf Arbeitstage (gemäß § 62 Abs. 2 S. 4 LPersVG) zu der Kündigungsabsicht angehört. Der Personalrat hat keine Stellungnahme abgegeben.
Der Kläger hatte mit Datum 25.4.1991 gegenüber der Beklagten eine schriftliche „Erklärung über die Treuepflicht zum Grundgesetz und Unterrichtung über außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten nach Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 5 des Einigungsvertrages” (Blatt 36 d. A.) unterschrieben, in der es u. a. heißt: „Ich erkläre … 2. nicht für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit tätig gewesen zu sein.”
Durch die bei der Beklagten am 22. September 1996 eingegangene Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) vom 14.8.1996 (Blatt 37 ff. d. A.) ist dieser bekanntgeworden, daß der Kläger in den Akten des MfS für die Zeit vom 19. Juni 1975 bis 5. Januar 1979 als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) unter dem Decknamen „K. H. II” erfaßt war. Die Beklagte hat den Kläger daraufhin zu einer persönlichen Anhörung geladen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 30.9.1996 (Blatt 55 d. A.) erklärt:
„Aus gesundheitlichen Gründen fühle ich mich außerstande, zur mündlichen Anhörung zu erscheinen. Da mir nur ein geringfügiger Teil der Akte zugänglich ist, vor allem der Abschlußbericht fehlt, kann ich in diesem Zusammenhang auf folgendes verweisen. Der Kontakt stand in unmittelbarem Zusammenhang mit meiner damaligen dienstlichen Tätigkeit, durch die ich zwangsläufig meldepflichtig war. Da der Abbruch vor achtzehn Jahren von mir selbst herbeigeführt wurde, betrachtete ich dies später für mich als unerheblich.”
Der Kläger war im Jahre 1975 Angehöriger der Nationalen Volksarmee (NVA) im Range eines Kapitänleutnant. Er wohnte in der Siedlung D. Dort traf er anläßlich eines Besuches in der Familie eines Kollegen mit einer ihm als Tante vorgestellten Frau zusammen, die er auf Grund der Äußerung, sie werde demnächst nach Mallorca fahren, für eine Besucherin aus Westdeutschland oder Westberlin hielt. Hiervon hat er den in der Siedlung bekannten Sicherheitsoffizier des MfS, den Hauptmann K., unterrichtet, der dies in einem Bericht vom 10.6.1975 (Blatt 54 d. A.) festhielt. Auf dessen Veranlassung hat auch der Kläger selbst einen handschriftlichen Bericht vom 9.6.1975 (Blatt 51–53 d. A.) über den Vorgang gefertigt. Da der besagte Kollege des Klägers zu dieser Zeit durch das MfS bereits „operativ bearbeitet” wurde, hat der Hauptmann K. in seinem Bericht die „operative Nutzung des (Klägers) zur Aufklärung dieser Verbindung” vorgeschlagen und den Kläger veranlaßt, unter dem Datum 19.6.1975 eine handschriftliche Verpflichtungserklärung (Kopie Blatt 43 d. A.) mit folgendem Wortlaut zu erstellen:
„Verpflichtung
Ich, L. P. geb. 02.02.44 verpflichte hiermit auf freiwilliger Grundlage, die Organe des MfS zu unterstützen. Über diese Zusammenarbeit unter allen Umständen strengstes Stillschweigen bewahren. Die mir gestellten Aufgaben werde ich ehrlich und gewissenhaft erfüllen. Mir ist bekannt, daß (geschwärzt) das MfS ebenfalls bei dessen verantwortungsvoll...