Entscheidungsstichwort (Thema)
Unverhältnismäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Diebstahls und Unterschlagung. Erlaubnistatbestandsirrtum bei unberechtigtem Einverständnis eines Vorgesetzten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Diebstahl bzw. eine Unterschlagung können im Falle des (unberechtigten) Einverständnisses eines Vorgesetzten zumindest als Erlaubnistatbestandsirrtum den Vorsatz ausschließen. Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorliegen, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen.
2. Jedenfalls scheidet eine außerordentliche Kündigung vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann aus, wenn das Arbeitsverhältnis jahrelang unbeanstandet verlief, keine besondere Vertrauensstellung eingeräumt wurde, lediglich Gegenstände von geringem Wert betroffen sind und ein Vorgesetzter sein Einverständnis erklärt hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser Vorgesetzte wegen des Vorfalls selbst nur abgemahnt wurde. In jedem Falle ist eine Verhaltensänderung nach einer Abmahnung zu erwarten, weshalb eine Abmahnung nicht entbehrlich ist.
Normenkette
BGB § 626; StGB §§ 242, 246, 22; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 15.11.2017; Aktenzeichen 11 Ca 94/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Stralsund Kammern Neubrandenburg vom 15.11.2017 (11 Ca 94/17) wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach der fristlosen und hilfsweisen ordentlichen Kündigung der Beklagten, welche mit einem Schreiben der Beklagten vom 27.04.2017 erklärt wurde.
Die 1959 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, welche Käse produziert, verpackt und vertreibt, seit dem 01.11.1997 beschäftigt. Die Klägerin wurde zuletzt vollschichtig, d.h. 40 Stunden die Woche auf Basis eines Gehaltes von 13,30 € je Stunde zuzüglich einer Besitzstandszulage in Höhe von 1,58 € je Stunde, insgesamt also zu einem Bruttogehalt von rund 2.460,00 € im Monat beschäftigt und zuletzt in der Regel als Gabelstaplerfahrerin eingesetzt. Bei der Beklagten wird im Schichtdienst gearbeitet. Zum Ende der Frühschicht der Klägerin am 13.04.2017 erklärte der von der Beklagten als stellvertretender Teamleiter eingesetzte Herr O. B. gegenüber der Klägerin und weiteren Mitarbeitern, dass diese aus einem vor dem Teamleiterbüro stehenden Karton jeweils eine Käsepackung (125 g), gefüllt mit fünf Scheiben "Milram Küstenkäse" entnehmen und mit nach Hause nehmen könnten. Der Ladenverkaufspreis dieses Käses beträgt pro Packung im Lebensmitteleinzelhandel nach Angaben der Beklagten 1,99 €. Die Klägerin nahm eine Käsepackung, ebenso wie andere Mitarbeiter, an sich und steckte diesen in die von ihr mitgeführte Tasche. Sodann begab sich die Klägerin zum Werkstor, um das Werksgelände zu verlassen. Am Werkstor wurde eine stichprobenartige Taschenkontrolle, welche mit dem Betriebsrat abgestimmt worden war, durchgeführt. Die Klägerin bemerkte diese Taschenkontrolle, setzte ihren Weg zum Werksausgang nicht weiter fort, sondern kehrte um. Sie kehrte ins Werksgebäude zurück und entledigte sich dort der mitgeführten Käsepackung. Auf ihr Verhalten, das Umkehren vor der Werkspforte, angesprochen, teilte die Klägerin zunächst mit, ihren Schlüssel im Werksgebäude vergessen zu haben. Sodann räumte sie ein, eine Käsepackung mitgeführt zu haben.
Der stellvertretende Schichtleiter, Herr O. B., wurde wegen seines Verhaltens, Mitarbeitern zu ermöglichen, Käse mitzunehmen, abgemahnt. Neben der Klägerin führte zumindest ein weiterer Mitarbeiter, der ebenso wie die Klägerin auf die Erlaubnis des Herrn B. verwies, Käse mit sich. Der weitere Mitarbeiter wurde im Rahmen der Taschenkontrolle am Tor festgestellt, bezog sich ebenfalls auf das Einverständnis des stellvertretenden Teamleiters, Herrn B., und wurde sodann im Nachgang, da es sich bei diesem Mitarbeiter um einen Leiharbeitnehmer handelte, von der Beklagten bei seinem Arbeitgeber für den weiteren Einsatz bei der Beklagten "abgemeldet".
Mit Schreiben vom 27.04.2017, welches der Klägerin am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß. Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit einem formalisiertem Schreiben vom 24.04.2017 zur beabsichtigten Kündigung angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten der Betriebsratsanhörung wird auf Blatt 59 der Akte verwiesen. Der Betriebsratsanhörung ist im Weiteren folgender Sachvortrag zu entnehmen:
"Frau A. hat nach Schichtende das Gebäude verlassen. Als sie Frau O. und Herrn K. bei der Taschenkontrolle eines/einer anderen Mitarbeiters/Mitarbeiterin entdeckte kehrte sie plötzlich um und ging zurück ins Gebäude. Nach kurzer Zeit verließ Frau A. dann erneut das Gebäude und wollte das Werksgelände verlassen. Hier wurde sie nun von Fra...