Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Merkmale eines ruhenden Arbeitsverhältnisses. Berechnung der tariflichen Corona-Sonderzahlung für ruhende Arbeitsverhältnisse
Leitsatz (amtlich)
Beschäftigte, die während der Elternzeit bei ihrem Arbeitgeber in Teilzeit arbeiten, können nach dem Tarifvertrag über eine einmalige Corona-Sonderzahlung vom 29.11.2021 (TV Corona-Sonderzahlung) einen Anspruch auf Corona-Sonderzahlung in voller Höhe haben, wenn sie vor Beginn der Elternzeit in Vollzeit tätig waren.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen.
2. Ein Arbeitsverhältnis kann aus verschiedenen rechtlichen Gründen ruhen. Ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag, also die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, suspendiert sind und somit der jeweilige Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht verlangen und durchsetzen kann. Elternzeit führt kraft Gesetzes zu einem ruhenden Arbeitsverhältnis, in dem die beiderseitigen Hauptleistungspflichten suspendiert sind.
3. Sinn und Zweck der zeitlichen Verschiebung des Stichtags bei ruhenden Arbeitsverhältnissen ist es, Änderungen der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit im Zusammenhang mit ruhenden Arbeitsverhältnissen zu neutralisieren. Die Corona-Sonderzahlung soll nach der regulär geltenden Arbeitszeit berechnet werden, nicht aber nach einer, insbesondere durch das Ruhen veranlassten, oft nur vorübergehenden Arbeitszeitänderung.
Normenkette
TVG § 1; BEEG § 15; TV L § 24; TV Corona-Sonderzahlung § 2
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 28.09.2022; Aktenzeichen 4 Ca 769/22) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 28.09.2022 - 4 Ca 769/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der tarifvertraglichen Corona-Sonderzahlung im Falle einer Teilzeittätigkeit während der Elternzeit.
Die 1985 geborene Klägerin ist seit dem 01.02.2021 bei dem beklagten Land in Vollzeit (40/40 Stunden) beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag vom 28.01./01.02.2021 gelten für das Arbeitsverhältnis, solange der Arbeitgeber hieran gebunden ist, der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) sowie die Tarifverträge, die den TV-L und den TVÜ-Länder ergänzen, ändern oder ersetzen, in der Fassung, die für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und für den Arbeitgeber jeweils gilt. Zudem ist die Klägerin Mitglied der Gewerkschaft GEW.
Am 19.06.2021 gebar die Klägerin eine Tochter. Antragsgemäß gewährte das beklagte Land der Klägerin mit Schreiben vom 13.07.2021 Elternzeit ab dem 15.08.2021. Zugleich mit dem Eintritt in die Elternzeit vereinbarten die Parteien eine befristete Teilzeitbeschäftigung im Umfang von zunächst 10/40 Wochenstunden. Zum 15.10.2021 erhöhten sie die Anzahl der zu leistenden Wochenstunden auf 15/40.
Am 29.11.2021 trat der Tarifvertrag über eine einmalige Corona-Sonderzahlung vom 29.11.2021 (TV Corona-Sonderzahlung) in Kraft, der, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung, folgenden Wortlaut hat:
"...
§ 1
Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für Personen, die am 29. November 2021 unter den Geltungsbereich eines der nachstehenden Tarifverträge fallen:
a) Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L),
...
§ 2
Einmalige Corona-Sonderzahlung
(1) Personen, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen, erhalten eine einmalige Corona-Sonderzahlung spätestens mit dem Tabellen- ...entgelt (Entgelt) für März 2022 ausgezahlt, wenn das Arbeits- ...verhältnis am 29. November 2021 bestanden hat und in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 29. November 2021 an mindestens einem Tag Anspruch auf Entgelt bestanden hat.
Protokollerklärungen zu Absatz 1:
1. 1Die einmalige Corona-Sonderzahlung wird zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Entgelt gewährt. 2Es handelt sich um eine Beihilfe bzw. Unterstützung des Arbeitgebers zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise im Sinne des § 3 Nummer 11a des Einkommensteuergesetzes.
...
4. Einem Anspruch auf Entgelt im Sinne des Absatzes 1 gleichgestellt ist der Bezug von Krankengeld nach § 45 SGB V, Leistungen na...