Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässige Klageerweiterung im Kündigungsschutzprozess durch Bestandsfeststellungsantrag. Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB als Voraussetzung einer ordentlichen Verdachtskündigung. Strenge Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung wegen Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung. Zulässiger Auflösungsantrag des Arbeitnehmers wegen bewusst unwahren Parteivortrags des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Wird im Kündigungsschutzprozess neben dem Kündigungsschutzantrag ein allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 256 ZPO zum Bestand des Arbeitsverhältnisses angekündigt, kann der Arbeitnehmer weitere später im Laufe des Rechtsstreits ausgesprochene Kündigungen auch außerhalb der Drei-Wochen-Frist nach § 4 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz durch Klageerweiterung einer gerichtlichen Überprüfung zuführen (§ 6 KSchG).
2. Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die auch eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen des Verdachts schwerer Pflichtverletzungen gerechtfertigt hätten (wie BAG 21. November 2013 _ 2 AZR 797/11 _ AP Nr. 53 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NJW 2014, 810 = DB 2014, 367).
3. Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen eigenständigen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden. Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann aber nur gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den einzelnen Verdachtsmomenten gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete _ vom Kündigenden darzulegende _ Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (ständige Rechtsprechung, vergleiche nur BAG 12. Februar 2015 _ 6 AZR 845/13 _ AP Nr. 1 zu § 22 BBiG = NZA 2015, 741; BAG 25. Oktober 2012 _ 2 AZR 700/11 _ AP Nr. 51 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 2013, 371 = DB 2013, 641).
4. Das Bundesarbeitsgericht hat für den Fall des Auflösungsantrages des Arbeitgebers entschieden, dass dieser auch darauf gestützt werden kann, dass die Gegenseite im Rechtsstreit bewusst unwahr vorgetragen hat (BAG 24. Mai 2018 _ 2 AZR 73/18 _ AP Nr. 72 zu § 9 KSchG 1969 = NJW 2018, 3131 = DB 2018, 2249). Das gilt entsprechend, wenn der Arbeitnehmer wegen bewusst unwahren Parteivortrags des Arbeitgebers den Auflösungsantrag stellt.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2; KSchG §§ 1, 4, 6-7, 9-10; ZPO § 256
Verfahrensgang
ArbG Rostock (Entscheidung vom 26.04.2018; Aktenzeichen 5 Ca 361/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2017 aufgelöst gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 9.900,00 €.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen aus November 2016, einer zusätzlich während des Laufs der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen fristlosen Kündigung aus Februar 2017 sowie um einen Auflösungsantrag der klagenden Arbeitnehmerin.
Die Beklagte betreibt an der Küste ein Hotel mit angeschlossenem Bistro bzw. Café. Zwischen den Parteien steht nicht mehr in Streit, dass in dem Betrieb gemessen an § 23 KSchG jedenfalls im Zeitraum November 2016 regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt waren.
Der Betrieb der Beklagten ist bereits durch mehrere Unternehmen, die letztlich allerdings wirtschaftlich keinen Erfolg hatten, geführt worden. An mehreren dieser Unternehmen war Herr S., der auch bei der Beklagten aufgrund einer notariell erstellten schriftlichen umfassenden Vollmacht eine leitende Stellung einnimmt, als Gesellschafter oder Geschäftsführer beteiligt oder in leitender Stellung in den Betriebsablauf eingegliedert. Herr S. - im Folgenden abgekürzt als faktischer Geschäftsführer bezeichnet - hat privat Insolvenz anmelden müssen und befindet sich derzeit noch in der Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung im Sinne von §§ 286 ff InsO.
Die Klägerin ist mindestens seit Juli 2006 als Hotelfachfrau mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 1.800 Euro bei der Beklagten bzw. bei Unternehmen, die den Betrieb zuvor geführt hatten, tätig. Seit 2011 ist die Klägerin als Assistentin der Geschäftsführung und als Leiterin der Rezeption eingesetzt. Beide Parteien sprechen mehrfach davon, dass die Klägerin in dieser Position die rechte Hand des faktischen Geschäftsführers gewesen sei.
Aus Gründen, die hier im Rechtsstreit nicht vollstä...