Entscheidungsstichwort (Thema)
Einzelfallbezogene Ausführungen zum Vorliegen einer Verdachtskündigung. Unbegründete Verdachtskündigung bei fehlenden Anzeichen für betrügerisches Erschleichen eines Vermittlungsgutscheins zugunsten des Ehemannes
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Beurteilung des Kündigungssachverhalts in einem Strafverfahren ist für die Arbeits- und Zivilgerichtsbarkeit nicht bindend.
2. Eine Verdachtskündigung ist gerechtfertigt, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und die Arbeitgeberin alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere der Arbeitnehmerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
3. Der Verdacht muss dringend sein; es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft.
4. Umstände, die den Verdacht begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigt.
5. Bezieht sich der Verdacht auf das Wissen der Arbeitnehmerin, dass es keine Vermittlungstätigkeit ihres Ehemannes gegeben hat, ist dieser Verdacht angesichts der Vielfältigkeit von Möglichkeiten, wie Ehen gelebt werden können, nicht als erheblich anzusehen, wenn als belastender Umstand insbesondere ein Gespräch zwischen dem Ehemann und einer weiteren Person in Betracht kommt und eine Kenntnis der Arbeitnehmerin von diesem Gespräch allein aus dem ehelichen Verhältnis geschlossen werden kann.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 15.06.2012; Aktenzeichen 5 Ca 1762/11) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Schwerin - 5 Ca 1762/11 - wie folgt abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.09.2011 nicht zum 31.12.2012 aufgelöst wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.
3. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Dem liegt ausweislich des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichtes Schwerin vom 15.06.2012 - 5 Ca 1762/11 - folgender Sachverhalt zu Grunde.
Die 1962 geborene, verheiratete Klägerin war auf Grund eines mit der Gemeinde Ostseebad B. unter dem 01.03.2001 begründeten, am 01.07.2011 auf das beklagte Amt übergegangenen Arbeitsverhältnisses, zuletzt mit der Entgeltgruppe 11, zu einer durchschnittlichen monatlichen Vergütung in Höhe von 3.900,00 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TVöD-V (VKA) Anwendung (Blatt 8, 10 f., 30, 55 f., 99 d. A.).
Mit Urteil vom 09.08.2011 (Aktenzeichen 4 Ls 17/11) hat das Amtsgericht Wismar die Klägerin "wegen gemeinschaftlichen Betruges" zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt.
In dem Urteil heißt es - soweit vorliegend von Interesse - unter II. 3. und III. der Gründe:
"Am 18.04.2008 schloss die Gemeinde B. mit dem Zeugen A. einen vom 01.05.2008 bis zum 31.10.2008 befristeten Arbeitsvertrag (...).
Die Angeklagte B. bestätigte unter dem 18.06.2008 auf dem entsprechenden Vordruck, dass der Zeuge A. auf Vermittlung ihres Ehegatten das in Rede stehende Beschäftigungsverhältnis bei der Gemeinde eingegangen ist. Diese Erklärung gab die Angeklagte B. ab, obwohl sie wusste, dass die Einstellung des Zeugen A. ohne Beteiligung der Firma ihres Ehemannes erfolgt war.
(...)
Es lag insoweit auch eine gemeinschaftliche Vorgehensweise mit der Angeklagten B. vor, da diese wusste, dass ihr Ehemann erst durch sie von der Bewerbung des Zeugen A. und dem Umstand Kenntnis erhalten hatte und das eine Entscheidung über die Einstellung des Zeugen A. bereits gefallen war, so dass sie bei ihrer Bestätigung, dass durch die Vermittlung des Angeklagten B. der Zeuge A. ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis eingegangen ist, wusste, dass die Bestätigung falsch war und der Vermittlungsbetrag von 1.000,00 Euro zu Unrecht ihrem Mann überwiesen wurde. Da beide Angeklagten verheiratet sind, kam der vom Arbeitsamt überwiesene Betrag beiden Angeklagten unmittelbar zu Gute (Blatt 38, 43 d. A.)."
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Das Ostseebad B. hatte der Klägerin bereits - nach vorheriger Anhörung - unter Berufung auf den zu Grunde liegenden Sachverhalt aus dem Jahre 2008 unter dem 30.07.2009 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung erklärt.
Der über deren Wirksamkeit seinerzeit geführte Rechtsstreit endete durch eine vom Landkreis NWM angeordnete Rücknahme der Berufung (Aktenzeichen 2 Sa 71/10), nachdem das Arbeitsgericht Schwerin ohne Prüfung der Kündigungsgründe bereits aus formellen Gründen die Kündigung als nicht rechtswirksam erachtet hatte (Blatt 32, 64 f....