Entscheidungsstichwort (Thema)
Parallelentscheidung zu LAG Mecklenburg-Vorpommern 2 Sa 136/20 v. 15.06.2021
Leitsatz (amtlich)
1. Den Tarifvertragsparteien steht aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums durch die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und Rechtsfolgen zu beurteilen sind.
2. Die Festlegung unterschiedlich hoher Zuschläge für Nachtarbeit, die innerhalb tariflich definierter Schicht- bzw. Wechselschichtarbeit erbracht wird (15 % bzw. 20 %), und für "sonstige Nachtarbeit" (60 %) im Manteltarifvertrag der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. vom 11. Mai 1994 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
3. Es besteht ein sachlicher Grund für diese Differenzierung, so dass die Tarifvertragsparteien den ihnen bei ihrer Normsetzung zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten haben.
4. Bestehen nach Tarifwortlaut und Tarifgeschichte Anhaltspunkte dafür, dass in der "sonstigen Nachtarbeit" zugleich Mehrarbeitsstunden enthalten sind, kann dies einen deutlich höheren Nachtzuschlag rechtfertigen, wenn ein Mehrarbeitszuschlag dafür nicht vorgesehen ist.
Normenkette
TVG § 1; GG Art. 9 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1; ArbZG § 6 Abs. 5; ZPO § 91 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 27.02.2020; Aktenzeichen 2 Ca 1362/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 27.02.2020 zum Az.: 2 Ca 1362/19 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifliche Zuschläge für nachts im Zeitraum von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit nach dem räumlich für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und das ehemalige Berlin-Ost geltenden Manteltarifvertrag der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. vom 11. Mai 1994 (im Folgenden: MTV-O).
Der Kläger ist als Koch bei der Beklagten in deren Betrieb in C-Stadt, in welchem Süßwaren, insbesondere Fruchtgummi und Schaumzucker, hergestellt werden, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der MTV-O Anwendung. Dieser lautet auszugsweise:
"§ 4
Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
I. Begriffsbestimmungen
1. Schichtarbeit ist die regelmäßige tägliche vereinbarte Arbeitszeit, unabhängig von der zeitlichen Lage.
Wechselschicht liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt, wobei dieser Rhythmus zusammenhängend mindestens eine volle Arbeitswoche dauert.
2. Mehrarbeit ist die über die jeweils betrieblich festgelegte regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit, soweit es sich nicht um einen zulässigen Ausgleich für ausgefallene Arbeitszeit an einzelnen Werktagen handelt.
...
Mehrarbeit ist, soweit es nur irgendwie angängig ist, z. B. durch zusätzliche Einstellung von Arbeitnehmern oder Einlegung von Schichten nach Maßgabe der betrieblichen und betriebstechnischen Möglichkeiten zu vermeiden. Ist aber Mehrarbeit unvermeidlich, so kann sie über die festgelegte Arbeitszeit hinaus mit dem Betriebsrat vereinbart werden. In dringenden unvorhergesehenen Fällen, in denen der Betriebsrat vorher nicht erreichbar ist, ist er nachträglich zu verständigen.
Mehrarbeit ist zu leisten, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen.
3. Nachtzeit ist die Zeit zwischen 22.00 und 6.00 Uhr.
...
4. ...
5. Bei Schichtarbeit kann eine Verschiebung der Zeiträume der Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit entsprechend den Schichtzeiten im Einverständnis mit dem Betriebsrat betrieblich festgelegt werden.
6. Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist ebenso wie Mehrarbeit nach Möglichkeit zu vermeiden. Sie ist - außer bei üblicher Schichtarbeit - im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen nur vorübergehend in Fällen einer dringenden betrieblichen Notwendigkeit im Einverständnis mit dem Betriebsrat zulässig. Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge können durch entsprechende Freizeit ausgeglichen werden.
Die im Rahmen dieser Bestimmungen festgelegte Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit ist zu leisten, soweit ihr nicht berechtigte Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen.
...
II. Vergütung
1. Für Mehr-, Schicht-, Wechselschicht-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
a) für Mehrarbeit, |
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die in Tageszeit von 6.00 bis 22.00 Uhr fällt |
25 v.H. |
ab der 3. Mehrarbeitsstunde täglich |
40 v.H. |
b) für Nachtarbeit |
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Schichtarbeit und Wechselschichtarbeit, die in die Nachtzeit von 22.00 bis 6.00 Uhr fallen |
15 v.H. |
die regelmäßig länger als 14 Tage überwiegend in der Nachtzeit von 22.00 bis 6.00 Uhr fallen |
20 v.H. |
sonstige Nachtarbeit |
60 v.H. |
c) für Arbeiten an Sonntagen |
60 v.H. |
d) für übliche Schicht- und Wechselschichtarbeit an Sonntagen und Feiertagen |
25 v.H. |
...
2. Die Zuschläge werden vom effektiven Entgelt bzw. Leistungslohn berechnet.
Für die Erre...