Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässige Änderung der Arbeitsbedingungen im Falle der Hinnahmepflicht durch den Arbeitnehmer. Zeitpunkt der Kündigung als Prüfungsmaßstab für Rechtmäßigkeit. Recht des Arbeitgebers auf Kündigungsverzicht. Abmahnung als Kündigungsverzicht für gerügte Abmahngründe (hier Betankung des Dienstwagens). Unwirksamkeit der Verdachtskündigung bei fehlender Anhörung des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Änderung der Arbeitsbedingungen i.S. von § 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe des § 1 KSchG bedingt ist und das Änderungsangebot des Arbeitgebers sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung ist der des Kündigungszugangs, so dass die objektiven Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt entscheidend sind.
3. Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Ein solcher Verzicht ist ausdrücklich oder konkludent möglich. Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen.
4. Versäumt es der Arbeitgeber, innerhalb der ihm bei einer Verdachtskündigung obliegenden Sachverhaltsaufklärung den Arbeitnehmer zu den Verdachtsmomenten anzuhören, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam.
Normenkette
KSchG §§ 1-2; ZPO § 97 Abs. 1; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 18.11.2020; Aktenzeichen 11 Ca 87/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund, Kammern Neubrandenburg, vom 18.11.2020 zum Az.: 11 Ca 87/20 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Bedingungen ihres Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Änderungskündigung durch die beklagte Arbeitgeberin.
Der im April 1960 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1994 bei der regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigenden Beklagten, die einen Betrieb für Transport sowie Handel mit Kraftstoffen und Düngemittel führt, zuletzt als Leiter der Abteilung "Transport" zu einem Bruttomonatsverdienst von 5.291,00 € beschäftigt. Ihm ist gemäß Überlassungsvertrag (Bl. 66 ff. d. A.) ein Pkw zur Nutzung für betriebliche Zwecke überlassen, der daneben für Privatfahrten und für "bedingte Fahrten von der Wohnung zur Betriebsstätte" genutzt werden darf. Der Kläger ist mit seinem Bruder, dem Geschäftsführer der Beklagten, neben den Gesellschaftern S. und P. Minderheitsgesellschafter der Beklagten.
Der Kläger hat im Zeitraum 2015 bis 2019 sein Wohnmobil an der Betriebstankstelle der Beklagten und während Urlaubsfahrten mit einer Tankkarte bzw. Tankkarten der Beklagten betankt. Die Beklagte hat für den Zeitraum 2017 bis 2019 Betankungen mit einem Wert von ca. 3.320,65 € ermittelt.
Für die Internetplattform "eBay Kleinanzeigen" unterhält der Kläger seit 2013 ein Konto, welches ab 2019 als "gewerblich" bezeichnet wurde. Der Kläger hat zwei Anzeigen geschaltet, mit denen er zum einen einen Kraftfahrer zum anderen Schlosser/Techniker zur Einstellung gesucht hat. Bei der Anzeige zur Suche eines Schlossers/Technikers sind Lkws der Beklagten abgebildet, wobei auf einem die Bezeichnung der Beklagten "L." lesbar ist.
Die dem Kläger mit Datum vom 30.01.2020 erteilte Abmahnung enthält u. a. den Vorwurf:
"Die von Ihnen seit längerem betriebene Praxis der Betankung eines anderen Fahrzeuges neben dem Ihnen überlassenen Dienstwagen rechtfertigt sich nicht aus der vereinbarten sogenannten 1-Prozent-Regelung.
Ein solches Verhalten gilt als Diebstahl und widerspricht Ihrem Arbeitsvertrag.
Wir sehen uns daher veranlasst, Sie auf Ihre vertraglichen Pflichten hinzuweisen."
Mit Schreiben vom 07.02.2020 widersprach der Kläger der Abmahnung mit dem Hinweis, dass ihm im Jahr 2013 durch den Gesellschafter S. die Erlaubnis zur Betankung eines anderen Fahrzeuges neben dem ihm überlassenen Dienstwagen erteilt worden sei und dieser sowie die Buchhalterin S. jährlich seine eingereichten Tankquittungen entsprechend dieser Absprache unterschrieben hätten.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 18.02.2020 und 30.04.2020 forderte die Beklagte den Kläger auf, darzulegen, welcher Art 26 über "eBay Kleinanzeigen" geschaltete Anzeigen gewesen seien. Mit anwaltlichem Schreiben vom 04.05.2020 bat der Kläger, den Auskunftsanspruch, insbesondere nach der Anspruchsgrundlage zu verifizieren. Die Beklagte antwortete mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2020, dass ihr keinerlei Bevollmächtigung des Klägers bzw. Autorisierung bekannt seien, für sie im Internet aufzutreten. Der Kläger sei nicht befugt, sie gegenüber Dritten zu vertreten.
Mit Schreiben vom 19.02.2020, dem Kläger am 20.02.2020 zugegangen, hat die Beklagte für das Arbeitsverhältn...