Entscheidungsstichwort (Thema)
Hohe Wahrscheinlichkeit bei dringendem Tatverdacht für Verdachtskündigung erforderlich. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers für Verdachtsumstände. Erforderlichkeit der Anhörung des Arbeitnehmers bei Verdachtskündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung kommt in Betracht, wenn gewichtige, auf objektive Tatsachen gestützte Verdachtsmomente vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat.
2. Der Tatverdacht muss dringend sein. Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Bloße, auf mehr oder weiniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus.
3. Dem kündigenden Arbeitgeber obliegt die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; ZPO § 97; KSchG § 4 S. 1, § 13
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 22.09.2020; Aktenzeichen 13 Ca 258/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund -Kammern Neubrandenburg- vom 22.09.2020 zum Aktenzeichen 13 Ca 258/19 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen ist.
Die im August 1983 geborene, 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Anlage K1, Bl. 7 f. d. A.) ab dem 01.05.2019 bei dem Beklagten in einer Eisdiele als Servicekraft zu einer Bruttomonatsvergütung von 1.118,00 € beschäftigt.
Am 23.06.2019 stand abends ein Trinkbecher, gefüllt mit Hartmünzen, im Tresen hinter verschiedenen Dosen mit Dingen, die für die Eisgarnierung benötigt werden. Der Beklagte vermutete, dass die Klägerin dieses Geld ohne in die Kasse einzubongen aus der Kasse entnommen hätte. Es handelte sich um 16,70 € in Münzen. Am 24.06.2019 entnahm die Klägerin den Betrag in Höhe von 16,70 € und teilte diesen mit ihrer Kollegin K..
Mit Schreiben vom 30.06.2019 (Bl. 9 d. A.) - der Klägerin am 01.07.2019 zugegangen - hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt (Bl. 9 d. A.).
Die Klägerin geht davon aus, dass diese Kündigung ihr Arbeitsverhältnis fristgerecht nicht vor Ablauf des 31.07.2019 beendet hat und hat sich daher mit der am 18.07.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die außerordentliche Kündigung gewandt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die ordentliche Kündigung könne das Arbeitsverhältnis lediglich mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von vier Wochen aufgrund des Zugangs am 01.07.2019 zum 31.07.2019 auflösen.
Die außerordentliche Kündigung sei mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes unwirksam. Sie habe keine Pflichtverletzung begangen. Soweit ihr vorgeworfen werde, Trinkgelder behalten zu haben, sei sie dazu berechtigt. Die Klägerin behauptet, am 01.07.2019 habe der Beklagte sie auf den Trinkbecher und die darin befindlichen Münzen angesprochen. Sie habe dem Beklagten mitgeteilt, dass es sich hierbei um Trinkgelder von Kunden handle. Der Beklagte habe ihr darauf hin erklärt, dass das Trinkgeld nicht ihr gehöre, sondern in die Kasse zu legen sei. Der Beklagte habe in diesem Gespräch nicht erwähnt, dass er ihr vorwerfe, Gelder nicht in die Kasse eingebongt, sondern stattdessen in den besagten Trinkbecher gelegt zu haben. Sie habe zusammen mit ihrer Kollegin das Trinkgeld in dem Becher gesammelt. Dem stehe ihre WhatsApp-Nachricht, worin sie sich für ihr Verhalten entschuldigt und um eine fristgemäße Kündigung gebeten habe, nicht entgegen. Sie habe nicht gekündigt werden wollen und hätte sich daher künftig an die Anweisung des Beklagten, dass sie Trinkgeld in die Kasse zu legen habe, gehalten. Sie habe sich für diesen Fehler entschuldigt.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche und hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Beklagten vom 30.06.2019, zugegangen am 01.07.2019, nicht vor Ablauf des 31.07.2019 endet.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte geht davon aus, dass die Klägerin einen Diebstahl begangen habe. Er hat bestritten, dass es sich bei den Münzen in de...