Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines wissenschaftlichen Mitarbeiters wegen mehrfacher Verletzung der Pflicht zur Teilnahme an Arbeitsbesprechungen und zur Vorlage von Arbeitsergebnissen
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber kann auch in einem Wissenschaftsbetrieb Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen im Rahmen des Arbeitsvertrages näher bestimmen, insbesondere die Teilnahme an Arbeitsberatungen oder die Erstellung wissenschaftlicher Berichte anordnen. Kommt der Arbeitnehmer diesen Weisungen trotz Abmahnung nicht nach, kann eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Normenkette
KSchG § 1; GewO § 106; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 612a
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 19.01.2022; Aktenzeichen 3 Ca 209/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 19.01.2022 - 3 Ca 209/21 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung wegen des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung.
Der 1969 geborene Kläger war nach Abschluss seines Studiums zum Diplom-Physiker zunächst drei Jahre lang, d. h. von September 1995 bis August 1998, bei dem Beklagten als Doktorand in B. beschäftigt und promovierte im Jahr 1999 mit einer Doktorarbeit auf dem Gebiet der experimentellen Untersuchung von Plasmawellen und -instabilitäten. Der Beklagte betreibt verschiedene wissenschaftliche Forschungsinstitute und beschäftigt regelmäßig weit mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Nach einer Unterbrechung von einem Jahr arbeitete der Kläger bei dem Beklagten sodann rund viereinhalb Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Nachdem der Kläger etwa zehn Jahre bei anderen Arbeitgebern tätig war, schlossen die Parteien am 03.07./14.07.2014 einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag mit einer Laufzeit von zwei Jahren für den Zeitraum 21.07.2014 bis 20.07.2016 über eine Vollzeitbeschäftigung als wissenschaftlicher Angestellter an dem I. für P.. Laut Arbeitsvertrag sind der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts sowie die diese ändernden, ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträge in der für die Beschäftigten des Bundes jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Der Kläger wurde der Entgeltgruppe 14 TVöD zugeordnet und entsprechend vergütet.
Der Beklagte setzte den Kläger in dem Bereich "Stellarator - Rand- und Divertorphysik" (E4) ein. Der Buchstabe E bezeichnet die Experimentalphysik. Nach der seinerzeit maßgebenden Stellenbeschreibung vom 23.06.2014 war der Kläger dem Abteilungsleiter Randschicht und In-vesseldiagnostik unterstellt und mit der technischen Entwicklung sowie dem wissenschaftlichen Betrieb von Langmuir-Sonden betraut.
Nach Ende der mit dem Kläger vereinbarten Befristung setzte der Beklagte einen Physiker aus den USA auf der bisher vom Kläger bekleideten Stelle ein, ebenfalls mit einem auf zwei Jahre befristeten Vertrag. Die Befristungsabrede mit dem Kläger erwies sich in dem über mehrere Instanzen geführten Arbeitsgerichtsverfahren (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17. Oktober 2017 - 5 Sa 256/16 - juris = LAGE § 14 TzBfG Nr. 120) als unwirksam, woraufhin der Kläger nach vorübergehender Arbeitslosigkeit seine Tätigkeit bei dem Beklagten am 18.12.2017 wieder aufnahm. Zumindest seit dem 01.11.2018 war der Kläger Responsible Officer (RO) für einen Teil der Pop-up Langmuir-Sonden.
Im Nachgang zu einem Personalgespräch am 19.09.2018 versetzte der Beklagte den Kläger mit Zustimmung des Betriebsrats zum 01.10.2018 in die Abteilung E4-EM (EM = Engineering & Management). Der Kläger unterstand dort dem Fachgruppenleiter Elektrotechnik und Steuerung, Herrn Dr. R., dem wiederum der Gruppenleiter Ingenieurstechnik und Projektmanagement, Herr Dr. H., übergeordnet war. Leiter dieses Bereichs war Herr Prof. Dr. P., zugleich Mitglied der wissenschaftlichen Institutsleitung. Der Beklagte übertrug dem Kläger laut Stellenbeschreibung vom 20.09.2018 die Weiterentwicklung, Verbesserung und Neuentwicklung der Mess-, Steuer- und Regelungstechnik von Diagnostiken im Bereich E4 und die Beantwortung der sich daraus ergebenden physikalischen und technischen Fragestellungen. Dazu gehört nach der Stellenbeschreibung die Entwicklung von Programmen zur Auswertung von Messdaten, insbesondere von Software-Tools zur Auswertung und Automatisierung der mit der neuen Messtechnik gewonnenen Messdaten hin zu physikalischen Messgrößen, sowie die Publikation der erarbeiteten Lösungen in referierten, internationalen Zeitschriften.
In einer Besprechung am 03.04.2019 informierte Herr Prof. Dr. P. den Kläger über das zukünftig vorgesehene Sonden-Design. Die vom Kläger bevorzugte...