Verfahrensgang

ArbG Stralsund (Urteil vom 28.03.1995; Aktenzeichen 6 Ca 26/93)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 04.06.1998; Aktenzeichen 8 AZR 696/96)

 

Tenor

Unter Abänderung desUrteils des Arbeitsgerichts Stralsund vom28.03.1995 wird das Versäumnisurteil vom 10.01.1995 aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 06.07.1993 mit Ablauf des 30.09.1993 nicht aufgelöst wurde.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme derjenigen Kosten, die durch die Säumnis des Klägers am 10.01.1995 entstanden sind; diese Kosten trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung.

Der Kläger war seit 1970 im Polizeidienst der ehemaligen DDR. Er wurde regelmäßig befördert und war bei der Wende als Oberleutnant der Volkspolizei (VP) Leiter der Schutzpolizei beim … Das danach zu dem beklagten Land bestehende Anstellungsverhältnis wurde mit dem am 14.07.1993 zugegangenen Schreiben vom 06.07.1993 mit Zustimmung des Hauptpersonalrats wegen Tätigkeit des Klägers für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nach Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages (im folgenden Abs. 4 Nr. 1 EV) wegen mangelnder persönlicher Eignung gekündigt.

Grundlage für die Kündigung war der Einzelbericht des Bundesbeauftragten für Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom 29.01.1993. Daraus ergibt sich, daß der Kläger vom 05.08.1982 bis 22.11.1988 und vom 05.09.1989 bis „offen” als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) für das MfS tätig war. Die in dem Bericht enthaltene Verpflichtungserklärung hat folgenden Inhalt:

„Ich, … erkläre mich aus Überzeugung und freiwillig bereit, mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Ich bin bereit, das MfS in seiner Tätigkeit bei der Aufklärung und Abwehr aller subversiven Handlungen gegen die DDR zu unterstützen. … Ich bin bereit, meine Informationen an das MfS schriftlich zu geben und werde diese mit Decknamen … unterzeichnen. Weiterhin erkläre ich mich bereit, alle erhaltenen Aufträge gewissenhaft zu erfüllen und zu vereinbarten Treffs pünktlich zu erscheinen.”

Als Grund und Ziel der Werbung wurde angegeben:

„Kontrolle und Überwachung vorrangig zu sichernder Personen und Personenkreise aus dem Bereich bewaffneter Organe Mdl/DVP. Als Grund der Beendigung der Tätigkeit für das MfS wurde die Auflösung des MfS/AfNS angegeben.”

Weiter heißt es in dem Bericht:

„In mehr als 50 schriftlichen und mündlichen Berichten gab der IMS an das MfS detaillierte Informationen aus dem Dienst- und Privatbereich ihm bekannter Personen, die u. a. auch zur Einleitung einer operativen Personenkontrolle führten.

Darüber hinaus erhielt der Kläger Geldprämien in Höhe von insgesamt 100,00 M.”

Ferner enthielt die Auskunft einen mit dem Decknamen unterzeichneten Bericht, den der Kläger auf Veranlassung seines Führungsoffiziers im Juni 1988 aufgrund der Kenntnisse eines anderen VP-Angehörigen gefertigt hatte, der ihn um Unterstützung bei seiner dienstlichen Stellungnahme anläßlich eines Kontaktes zu einem Bürger aus der Bundesrepublik gebeten hatte.

Auf die Frage im Personalfragebogen: „Waren Sie Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder beim Amt für Nationale Sicherheit?” gab der Kläger mit Datum vom 24.01.1990 (richtig 24.01.1991) folgendes an:

„… Hiermit erkläre ich, …

2. daß ich eine Verpflichtung zu inoffizieller Mitarbeit mit einer der genannten Dienststellen eingegangen bin.

3. Ich bin mit einer Überprüfung meiner personenbezogenen Daten einverstanden. …”

Der Kläger hat vorgetragen, seine Weiterbeschäftigung sei zumutbar. Aus seiner Tätigkeit als IMS folge nicht mangelnde persönliche Eignung nach Abs. 4 Nr. 1 EV; hier sei ausschließlich die außerordentliche Kündigung nach dem EV möglich, die aber 21/2 Jahre nach seinem Bekenntnis verwirkt sei. Vorsorglich bestreite er eine bewußte, finale Mitarbeit für das MfS. Er habe nicht über 50 Berichte geliefert: die Mehrzahl sei von seinem Führungsoffizier selbst verfaßt, die Informationen seien abgeschöpft worden. Bei ihm sei das Vertrauen erwachsen, daß aufgrund seiner IM-Tätigkeit keine Kündigung mehr drohe.

Das beklagte Land hat vorgetragen, der Kläger sei final für das MfS tätig gewesen. Er habe die Verpflichtungserklärung unterzeichnet und Berichte geliefert. Deshalb fehle die persönliche Eignung für eine Weiterbschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik. Da er sich frühzeitig zu seiner Zusammenarbeit bekannt habe, sei fristgemäß gekündigt worden. Das Kündigungsrecht sei nicht verwirkt; er hätte nicht auf eine Nichtkündbarkeit vertrauen können.

Das Arbeitsgericht Stralsund hat mit Urteil vom 28.03.1995 sein klagabweisendes Versäumnisurteil vom 10.01.1995 aufrechterhalten.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung sei nach Abs. 4 Nr. 1 EV gerechtfertigt. Der Kläger habe seit Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung 1982 bis ...

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