Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedarfskündigung nach Einigungsvertrag. Auswahlentscheidung. Lehrerkündigung. „Ein-Fach-Lehrer”. Bedarfsanalyse bei fachfremdem Unterrichtseinsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Ist der Bedarf nach einer bestimmten Art. von Arbeitsleistung nicht gänzlich entfallen, sondern lediglich zurückgegangen, muß der Dienstherr bestimmen, wem zu kündigen ist, und wer im Dienst verbleiben kann (Auswahlentscheidung). Hierbei ist er an § 315 Abs. 1 BGB und § 242 BGB gebunden.
2. Macht der Dienstherr im Rahmen der Auswahlentscheidung dienstliche Interessen geltend, ist zu prüfen, ob diese an sich geeignet sind, die Kündigung zu rechtfertigen. Dies ist bereits dann der Fall, wenn der Dienstherr dabei sachlich anerkennenswerte Zwecke verfolgt. Gleichwohl bleibt auch in diesem Fall zu prüfen, ob die an sich dienstlich gebotene Auswahlentscheidung wegen überwiegender sozialer Schutzbedürftigkeit des Bediensteten zu unterbleiben hat (§ 315 Abs. 1 BGB). Dabei darf der Dienstherr jedoch von einer „Vorrangtendenz” dienstlicher Interessen ausgehen.
3. Kann aufgrund dienstlicher Interessen der Kreis der zu kündigenden Personen nicht eindeutig bestimmt werden, muß sich die (weitere) Auswahl des Dienstherrn an dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen der von der Kündigung potentiell betroffenen Bediensteten orientieren (Folge des Willkürverbots aus § 242 BGB). Die hierbei anzustellenden Erwägungen werden vielfach große Ähnlichkeiten zu den Grundsätzen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG aufweisen.
4. Kündigt der Dienstherr in einem überbesetzten Unterrichtsfach zunächst den Lehrern, die nur in diesem Fach ausbildungsgemäß eingesetzt werden können („Ein-Fach-Lehrer”), so besteht hierfür ein anerkennenswertes dienstliches Interesse.
Leitsatz (redaktionell)
Weitere Hinweise:
(Stand: 2. Juni 1994)
1. Der Rechtsstreit ist beim BAG unter dem Geschäftszeichen 8 AZR 914/93 anhängig.
2. Die Entscheidung ist veröffentlicht in NJ 1994, S. 137 ff.
Normenkette
EinigV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 – Bedarfskündigung
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Urteil vom 23.03.1993; Aktenzeichen 8 Ca 2452/92) |
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 22.03.1993 (8 Ca 2452/92) wird wie folgt abgeändert:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Das beklagte Land hat das Dienstverhältnis zu dem klagenden Lehrer mit Schreiben vom 26.05.1992, zugegangen am selben Tag, zum 30.09.1992 unter Hinweis auf den Einigungsvertrag (mangelnde persönliche Eignung und mangelnder Bedarf) gekündigt. Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage, bei Gericht eingegangen am 15.06.1992.
Der Kläger war zum Zeitpunkt der Kündigung 52 Jahre alt, er ist verheiratet und hat vier Kinder, von denen noch zwei in der Ausbildung sind. Sein letzter Monatsverdienst lag bei … DM brutto.
Der Kläger ist 1959 zunächst als Unterstufenlehrer in den Schuldienst getreten. Seit 1972 ist er diplomierter Biologielehrer; seit 1987 außerdem noch diplomierter Staatsbürgerkundelehrer. Von 1987 bis 1989 war er Fachberater für Staatsbürgerkunde und hatte dafür 6 Wochenstunden weniger zu unterrichten.
Der Kläger ist seit vielen Jahren nicht mehr als Grundschullehrer tätig. Zuletzt (Schuljahr 1991/92) war er in der Realschule mit Grund- und Hauptschulteil in … (Schulamt …) eingesetzt und unterrichtete dort Biologie, Geschichte und Sozialkunde.
Der Kläger hat in der Kammerverhandlung eingeräumt, daß es im Schulamtsbereich zu viele Biologielehrer gegeben hat. Das beklagte Land hat den Überhang zuletzt mit 3,41 Stellen beziffert; 3 Biologielehrern wurde die Kündigung ausgesprochen (vgl. hier Blatt 150 und 170 ff. d.A.).
Im Schulamtsbezirk sind desweiteren 9 ausgebildete Geschichtslehrer beschäftigt; dem standen 115 Wochenunterrichtsstunden in der Planung für das Schuljahr 1992/93 gegenüber (Schriftsatz des beklagten Landes vom 17.03.1993, hier Blatt 63).
Im Grundschulbereich ist ebenfalls ein Personalüberhang zu verzeichnen, den das beklagte Land mit 29,6 Stellen schulamtsweit beziffert hat. Auf die rechnerischen Grundlagen dieser Zahl wird Bezug genommen (Berufungsbegründung Seite 6 bis 8, hier Blatt 145 ff.).
Der Kläger ist nach Ablauf der Kündigungsfrist befristet für das Schuljahr 1992/93 wieder eingestellt worden und hat in diesem Jahr an seiner alten Schule in etwa dieselben Fächer wie im Schuljahr zuvor unterrichtet. Die befristete Wiedereinstellung stand im Zusammenhang mit dem Ausscheiden der Kollegin … die nach letztmaliger Verlängerung der Möglichkeit mit 55 Jahren Altersübergangsgeld in Anspruch nehmen zu können, sich bereit gefunden hat, zum Ende des Jahres 1992 auszuscheiden. Die rechtlichen Grundlagen hierfür wurden etwa ein Monat nach Ausspruch der Kündigung geschaffen. Die Absicht der Frau … im Falle der Verlängerung der Regelung ausscheiden zu wollen, wa...