Entscheidungsstichwort (Thema)

Zielsetzung des Vorstellungsgesprächs mit behinderten Bewerbern auf Stellenangebote öffentlicher Arbeitgeber. Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch nur bei unzweifelhafter Nichteignung des behinderten Bewerbers. Strenge Anforderungen an einen Rechtsmissbrauch durch "AGG-Hopping"

 

Leitsatz (amtlich)

1.Mit der nach dem Gesetz auf öffentliche Arbeitgeber beschränkten Pflicht, behinderte Menschen, die sich um eine ausgeschriebene Stelle bemühen, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, will der Gesetzgeber erreichen, dass behinderten Menschen eine privilegierte Chance eingeräumt wird, den zukünftigen Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass eine produktive gemeinsame Zusammenarbeit möglich ist (BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14 - AP Nr. 11 zu § 22 AGG = NZA 2016, 625; LAG Mecklenburg-Vorpommern 28. September 2017 - 4 Sa 93/17 - juris.de).

2. Mit der gesetzlichen Pflicht zur Einladung behinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch verbindet der Gesetzgeber die Hoffnung, dass der Arbeitgeber im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs die Erkenntnis gewinnen kann, dass die Einstellung des behinderten Bewerbers für ihn in Abwägung aller Umstände von Vorteil wäre. Schwerbehinderte Bewerber müssen daher auch dann zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen ergibt, dass andere Bewerber deutlich besser geeignet sind (LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 - 5 Sa 82/18 - juris.de).

3. Offensichtlich fachlich nicht geeignet ist nur, wer "unzweifelhaft" nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht (BAG 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14; BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14). Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Allein die hohe Anzahl von Bewerbungen eines schwerbehinderten Menschen auf Stellenangebote öffentlicher Arbeitgeber lässt noch nicht auf eine unzulässige Rechtsausübung schließen. Diese könnte nur bejaht werden, wenn man feststellen könnte, dass der Bewerber mit seiner Beteiligung an den verschiedensten Bewerbungsverfahren gar nicht die Absicht verfolgt, eine Beschäftigung zu erlangen, sondern allein das Ziel verfolgt, bei Missachtung der gesetzlichen Pflichten aus § 82 SGB a.F. bzw. § 165 SGB n.F. durch die öffentlichen Arbeitgeber Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend machen zu können (sog. "AGG-Hopping").

 

Normenkette

AGG §§ 1, 7, 15, 22; SGB IX § 165; BGB § 242; SGB IX a.F. § 82

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 27.09.2018; Aktenzeichen 2 Ca 402/18)

 

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

In Streit steht die Frage, ob die Beklagte den Kläger wegen seiner Schwerbehinderung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens diskriminiert hat und ob sie deshalb zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet ist.

Die Beklagte ist eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern mit weit unter 10.000 Einwohnern. Im Oktober 2017 hat die Beklagte eine Stelle für einen bzw. eine "Mitarbeiter/in Bauhof" öffentlich ausgeschrieben. Die Stelle stand zur sofortigen Besetzung an. Es handelt sich um eine unbefristete Vollzeitstelle (40 Stunden pro Woche). Die Beklagte hat dafür eine tarifliche Vergütung aus der Entgeltgruppe EG 4 TVöD VkA vorgesehen. Das tarifliche Tabellenentgelt hat im Oktober 2017 in der Entgeltgruppe EG 4, Stufe 3 brutto 2.511,69 Euro betragen. Die Beklagte hat in der öffentlichen Stellenausschreibung die mit der Stelle verbundenen Aufgaben und die geforderten Qualifikationsvoraussetzungen für die Bewerber und Bewerberinnen wie folgt festgelegt:

"Die Stelle umfasst folgende Aufgaben:

- Baumpflege, Garten- und Grünflächenpflege und Einsatz im Winterdienst mit Bedienung der kommunalen Technik

- Sonstige Arbeiten zur Sicherstellung der Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet.

Für diese verantwortungs- und vertrauensvolle Tätigkeit erwarten wir

- eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf

- Einsatzbereitschaft und körperliche Belastbarkeit

- freundliches und zuvorkommendes Auftreten

- Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeit

- Führerscheinklasse C1E

- Sägeschein / Motorsägeschein"

In der Ausschreibung wurde ergänzend darauf verwiesen, dass bei gleicher Eignung Mitglieder der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr bevorzugt berücksichtigt würden und dass es wünschenswert wäre, wenn der oder die Stelleninhaberin den Wohnsitz im Stadtgebiet habe, bzw. die Bereitschaft bestehe, den Wohnsitz in der Stadt zu begründen. Die offene Stelle wurde von der Beklagten nicht bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt.

Auf diese Stelle hat sich innerhalb der von der Beklagten gesetzten Bewerbungsfrist unter anderem der Kläger beworben. Der Kläger stammt aus dem Vogtland im Südwesten von Sachsen aus einer ...

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