Entscheidungsstichwort (Thema)
Kanzleiverschulden bei Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses für ein Urteil ohne Notierung der Rechtsmittelfrist im Fristenkalender
Leitsatz (amtlich)
Rechtsanwälte dürfen das Empfangsbekenntnis (EB) für ein Urteil nur dann unterzeichnen und an das Gericht zurücksenden, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (wie BGH 2. Februar 2010 - VI ZB 58/09 - NJW 2010, 1080).
Normenkette
ArbGG § 66; ZPO §§ 233, 85 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 22.11.2018; Aktenzeichen 2 Ca 752/18) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien hatten erstinstanzlich um die Wirksamkeit dreier Kündigungen aus Mai, Juni und Juli 2018 und um einen Auflösungsantrag der langjährig beschäftigten Klägerin nach §§ 9, 10 KSchG gestritten. Die letzte Kündigung vom 30. Juli 2018 war als außerordentliche und hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen. - Im Berufungsrechtszug streiten die Parteien um die Zulässigkeit der von der beklagten Arbeitgeberin eingelegten Berufung.
Bei der beklagten Arbeitgeberin stehen gemessen an § 23 KSchG keine 10 Arbeitnehmer unter Vertrag. Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass das Kündigungsschutzgesetz dennoch auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei, da die Beklagte mit einem weiteren Unternehmen, das in der Nachbarschaft zur Beklagten angesiedelt ist und das deutlich mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, einen gemeinsamen Betrieb führe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. November 2018 (2 Ca 752/18) vollständig entsprochen und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von rund 7.300,00 Euro aufgelöst. Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat gemeint, ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vom 30. Juli 2018 sei nicht dargelegt. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstelle, dass die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, am Wochenende (28. und 29. Juli 2018) zu arbeiten, könne die Nichtableistung der angeordneten Arbeit an diesem Wochenende nicht als beharrliche Arbeitsverweigerung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angesehen werden, was mit einzelfallbezogenen Erwägungen ausgeführt wird (I. und II. der Entscheidungsgründe). Für die Frage, ob eine der drei Kündigungen als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet habe, könne offenbleiben, ob die Beklagte mit dem anderen Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führe.
Denn die Kündigungen seien jedenfalls auch deshalb unwirksam, weil die Beklagte für keine der drei Kündigungen einen sachlichen Grund vorgetragen habe. Eine Kündigung, die ohne sachlichen Anlass ausgesprochen werde, verstoße gegen Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB. Soweit Gründe für die Kündigung vom 30. Juli 2018 vorgetragen seien, könnten diese die Kündigung gemessen an § 242 BGB nicht rechtfertigen. Die Kündigungen seien daher nach § 242 BGB treuwidrig und unwirksam (III. und IV. der Entscheidungsgründe). Der klägerische Auflösungsantrag sei ebenfalls begründet, §§ 9, 10 KSchG fänden auch im Kleinbetrieb bei einer treuwidrigen Kündigung Anwendung (V. der Entscheidungsgründe).
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten am 9. Januar 2019 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten vom 14. Januar 2019 ist per FAX noch am selben Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Bis zum Ablauf des 11. März 2019 (Montag) ist die Berufung nicht begründet worden. Darauf wurde die Beklagte zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten mit gerichtlicher Verfügung vom 12. März 2019 hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2019, der auf dem hiesigen Server über das besondere elektronische Anwaltspostfach (bEA) am selben Tag eingegangen war, hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig ihre Berufung begründet. Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf diesen Schriftsatz Bezug genommen (hier Blatt 127 ff).
Der Vorgang, der die Wiedereinsetzung begründen soll, wird von der Beklagten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten wörtlich wie folgt beschrieben (hier Blatt 127 f):
"Das angefochtene Urteil ... wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 09.01.2019 zugestellt.
Der Posteingang wurde dem Unterzeichner am 10.01.2019 vorgelegt. Der Unterzeichner hat den Vorgang sodann seiner ... Rechtsfachwirtin ... mit der Sofortanweisung ausgehändigt, im Fristenkalender die Begründungsfrist [gemeint sein dürfte: Berufungsfrist] auf den 11.02.2019 sowie die Berufungsbegründungsfrist auf den 11.03.2019 zu notieren und das Diktat mit der Berufungsschrift abzuarbeiten. Diese Anweisung hat die Rechtsfachwirtin ... noch im Beisein des...