Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelbare Herleitung des Vorsatzes des Schuldners zur Gläubigerbenachteiligung in der Insolvenz aus objektiven Tatsachen. Wirtschaftlich schädigende Handlungen des Schuldners als Indizien für den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung. Zahlungseinstellung als gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit. Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes als Voraussetzung einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO. Beweislast des Insolvenzverwalters für die Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Schuldner handelt mit Vorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO, wenn er die Benachteiligung der Gläubiger als Erfolg seiner Rechtshandlung will oder als mutmaßliche Folge erkennt und billigt. Das Vorliegen dieses subjektiven Tatbestandmerkmals kann als innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsache regelmäßig nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden.
2. Nicht nur die wirtschaftliche Lage des Schuldners ist in den Blick zu nehmen. Auch Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung können für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO sprechen. Deshalb hat der Tatrichter neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners auch die Umstände in seine Würdigung einzubeziehen, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Zu diesen Umständen zählen etwa die Gewährung einer inkongruenten Deckung, die Bewirkung einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung und die Übertragung von Vermögensgegenständen an nahestehende Dritte (BGH, Urteil vom 03.03.2022 - IX ZR 53/19 - Rn. 12, juris).
3. Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Sie ist im Anfechtungsprozess entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet. Kennen Schuldner und Anfechtungsgegner Tatsachen, aus denen sich bei zutreffender rechtlicher Würdigung die Zahlungseinstellung des Schuldners mit der nach § 286 ZPO notwendigen Gewissheit ergibt, kennen sie damit auch die Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 06.05.2021 - IX ZR 72/20 - Rn. 14, juris).
4. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen (BGH, Urteil vom 06.05.2021 - IX ZR 72/20 - Rn. 31, juris).
5. Die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO setzt weiter voraus, dass der Anfechtungsgegner zur Zeit der angefochtenen Handlung den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte (§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO).
6. Der Insolvenzverwalter, der die Beweislast für die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO trägt, muss im Einzelfall nachweisen, dass der Arbeitnehmer alle erforderlichen Informationen besaß (BAG, Urteil vom 12.09.2013 - 6 AZR 980/11- Rn. 64, juris).
7. Ein Arbeitnehmer erlangt diese Informationen nicht, wenn er aufgrund seiner Tätigkeit und Stellung im Betrieb keine Übersicht zur Liquiditätslage erhält, lediglich das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt und auch sonst keine Umstände wahrgenommen hat, welche auf Zahlungsunfähigkeit bzw. drohende Zahlungsunfähigkeit hinweisen.
Normenkette
InsO § 143 Abs. 1 S. 1, § 133 Abs. 1 S. 1, Abs. 2-3, § 129; ZPO §§ 286, 292; InsO § 17 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 19.07.2022; Aktenzeichen 6 Ca 1278/21) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 19.07.2022 zum Aktenzeichen 6 Ca 1278/21 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsrückzahlung nach Insolvenzanfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung.
Die Beklagte war gemäß dem schriftlichen Arbeitsvertrag ab dem 01.01.2006 als Planungsingenieurin bei der XXXXXX E. in der unselbstständigen Niederlassung in S-Stadt beschäftigt. Insgesamt waren etwa 6 Mitarbeiter in dieser Niederlassung tätig. Nach dem Auszug des Handelsregisters (Bl. 119 ff d. A.) erfolgte unter dem 12.05.2016 die Eintragung der Umfirmierung in XXXXX. Der Geschäftsführer Dr.-Ing. U. H. war nach Kenntnis der Beklagten an insgesamt 5 Firmen neben ihrer Arbeitgeberin, der XXXXXX E. bzw. der XXXXX u.a. an der "T. GmbH, "XXXX U.-, R. GmbH" und der "XXXX GmbH" beteiligt.
Die Beklagte hat ihr Gehalt nach ihren Kontoauszügen von dort angegebenen unterschiedlichen Auftraggebern erhalten. So wurde unter dem 06.05.2015 eine Zahlung unter dem Auftraggeber "XXXXX E." gebucht, unter dem 02.05.2015 und dem 16.10.2015 jeweils eine Zahlung unter dem Auftraggeber "...