Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung eines Tarifvertrags bei Tarifkollision nach Verbandsaustritt. Auslegung der Tarifgebundenheit für bis zum 01.01.2002 geschlossene Arbeitsverträge. Auslegung eines Personalüberleitungsvertrags bezüglich tariflicher Bindung. Geltung der Fassung des Tarifvertrags im Zeitpunkt des Verbandsaustritts (statische Anwendung)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ist eine in vor dem 01.01.2002 vereinbarten Arbeitsverträgen enthaltene Inbezugnahme von Tarifverträgen als Gleichstellungsabrede auszulegen mit der Folge, dass die Regelungen im Falle des Austritts des Arbeitgebers aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband nur noch statisch in der zum Zeitpunkt des Austritts geltenden Fassung anzuwenden sind, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifbindung nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden ist.

2. Ob ein Personalüberleitungsvertrag Regelungen enthält, welche eine selbständige von der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im tarifschließenden Arbeitgeberverband unabhängige Verpflichtung zur dynamischen Anwendung eines Tarifvertrages begründen können, ist durch Auslegung zu ermitteln.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 328; ZPO § 97 Abs. 1, § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 02.09.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1404/19)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 02.09.2020 zum Aktenzeichen 4 Ca 1404/19 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages und danach zu zahlende Vergütung.

Der Kläger ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom 12.06.1992 ab dem 01.08.1992 als Musiker im Kultur-Orchester "Norddeutsche Philharmonie A-Stadt" mit dem Instrument "Kontrabass" als stellvertretender 1. (Solo-) Kontrabassist beschäftigt. Im Arbeitsvertrag heißt es unter § 4:

"§ 4

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für die Musiker in Kultur-Orchestern (TVK) vom 01. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden, ändernden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen."

Der TVK ist zwischen der Deutschen Orchestervereinigung e. V. und dem Deutschen Bühnenverein e. V. geschlossen. Gemäß § 19 TVK soll im Falle einer allgemeinen Veränderung von Entgelten im Bereich TV-L/TVöD-VKA eine sinngemäße Anpassung durch Tarifvertrag für den Bereich des TVK geschehen.

Im Zuge der Umwandlung des V.theaters A-Stadt in eine GmbH haben die Hansestadt A-Stadt und die Beklagte im Januar 2010 einen Personalüberleitungsvertrag (PÜV) geschlossen, der nach der Präambel von einem Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB ausgeht und u. a. vorsieht:

"§ 3

Tarifverträge

Die auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Beschäftigten anzuwendenden Tarifverträge sind Bestandteil der Überleitung.

§ 4

Tarifbindung

Die GmbH verpflichtet sich, spätestens ab dem Stichtag Mitglied im Deutschen Bühnenverein und im kommunalen Arbeitgeberverein Mecklenburg-Vorpommern e. V. mit Tarifbindung zu werden.

...

§ 6

Beschäftigungszeit

Die GmbH erkennt den übergehenden Beschäftigten die bisherige Betriebszugehörigkeit, die bisher angelaufene Dienst- und Beschäftigungszeit sowie die zu berücksichtigende Jubiläumszeit in vollem Umfang an.

Den Beschäftigten bleiben die entstandenen Rechte - Urlaubsanspruch, Nebentätigkeitsgenehmigung, Zeitguthaben i. ä. - erhalten.

...

§ 12

Schlussbestimmungen

Die Parteien dieses Vertrages sind sich einig, dass dieser Vertrag ein Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 328 BGB) hinsichtlich der in der Anlage 1 zu § 1 aufgeführten Mitarbeiter ist.

...

Jedem Beschäftigten wird spätestens am Stichtag eine Kopie dieses Vertrages (ohne Anlage) übergeben.

Die Beklagte wurde Mitglied beim tarifschließenden Arbeitgeber "Deutscher Bühnenverein e. V." Die Anpassung der Vergütung der Musiker erfolgte gemäß § 19 TVK. Mit Schreiben vom 05.12.2013 hat die Beklagte diese Mitgliedschaft außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2014 gekündigt.

Am 16.10.2014 haben die DOV und die Beklagte einen Tarifvertrag für die Musiker der Norddeutschen Philharmonie A-Stadt vereinbart, der vom TVK abweichende Vergütungsregelungen enthält. Diese sehen u. a. eine geringere Vergütung als der TVK vor, andererseits jedoch auch die Verpflichtungen der Beklagten, mindestens 73 Stellen besetzt zu halten, sowie den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Dieser HTV lautet u. a.:

"§ 1

(1) Für die Musiker der Norddeutschen Philharmonie A-Stadt gilt der Tarifvertrag für die Musiker in Kultur-Orchestern (TVK) vom 31. Dezember 2009 mit den nachfolgend benannten Abweichungen (Ergänzungen, Einschränkungen).

(2) Im Einzelnen gelten folgende Abweichungen:

...

1. Zu § 19 und § 20 TVK:

Tarifverträge zur Durchführung des § 19 TVK, die zwischen der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Bühnenverein während der Laufzeit dieses Tarifverzichts (§ 4 Abs. 2) abgeschlossen werden, finden keine Anwendung.

Im Übrigen gelten folgende Regelungen:

a) Es gilt...

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